Zelten in der Grauzone

■ Die nach dem Brand obdachlosen Besetzer der Tacheles-Häuser campieren ohne Strom und Wasser hinter den Ruinen/ Soforthilfeversuche des DRK wurden vom Bezirksbürgermeister ignoriert

Mitte. »Die sollen sich beim Sozialamt ihr Fahrgeld holen und nach Hause fahren.« Der Bezirksbürgermeister von Mitte,Benno Hasse, scheint diesen Kommentar nicht einmal ironisch gemeint zu haben. Als Rainer Otto vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) am Dienstag mit dem Bezirksamt eine Soforthilfe für die obdachlos gewordenen Besetzer vom Tacheles zu koordinieren versuchte, zeigte ihm Hasse die kalte Schulter. Offensichtlich endet die im Grundgesetz verankerte Fürsorgepflicht des Staates, wenn die Betroffenen zur »Grauzone der Illegalität« zählen. In der Grauzone Berlin- Mitte parkten einen Tag nach der »heißen Räumung« die weißlackierten Wagen vom DRK die Oranienburger Straße zu und ließen das Tacheles neben den ausgebrannten Dachstühlen wie ein Krankenhaus aus Endzeittagen wirken. Auf dem Dach der Ruine haben Künstler des Hauses in langer Reihe rote Scheinwerfer unter Plastikfolie montiert; als noch die Nebelmaschine rote Rauchwolken in den dunstigen Nachthimmel spuckt, ist die Szenerie perfekt: Das Tacheles brennt zum zweiten Mal. Bei »Obst und Gemüse«, der Konkurrenz von Gegenüber, drängelt man sich heute nacht um die besten Plätze. Die meisten der hier Anwesenden haben seit gestern kein Auge zugetan. Man trinkt Sekt und Wein, die Stimmung ist in Anbetracht der Lage überraschend gut.

Allgemeines Gejohle, als kurz darauf tatsächlich zwei Löschzüge der Feuerwehr vor dem Kunsthaus Stellung beziehen. Weil die Herren in dunkelblauer Montur sich tags zuvor mit ihrer verzögerten Löschtaktik nicht gerade beliebt gemacht hatten, fliegt ihnen zur Begrüßung eine Flasche Sekt vor das Fahrzeug. Derweil machen sich die ehrenamtlichen Helfer des DRK auf der verwaisten Freifläche hinter der Ruine zu schaffen. Sechs Pfadfinderzelte mit jeweils zehn Feldbetten werden zwischen den Sandhügeln plaziert, und ab Mitternacht gibt's Nudelsuppe mit Rindfleisch aus der Gulaschkanone. Ludwig Eben schläft seit zwei Nächten im Zelt, ohne Strom und Klo. »Wenn man morgens nicht beim ersten Sonnenstrahl aus dem Bett springt, kriegt man Kopfweh.« Obwohl die unteren zwei Etagen sofort wieder bewohnbar wären, sind die Türen der Brandhäuser inzwischen zugemauert, die ehemaligen Bewohner haben Hausverbot, und ein privater Wachschutz beobachtet rund um die Uhr die Eingänge. Offensichtlich kommen der Bundesvermögensverwaltung, derzeitige Verwalterin der von Restitutionsanträgen belegten Häuser, die jüngsten Ereignisse nicht ganz ungelegen. Da die Gebäude unter Denkmalschutz stehen, fordern die Ex-Besetzer die sofortige Errichtung eines Notdaches gegen den weiteren Verfall. Jantje Hannover

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