»Nostalgie ist nicht der Weg«

■ Die Initiative »Frauen im Theater« lud ein zur Diskussion über »Die Kunst der Freiheit«

Als »Ost-West-Gespräch über Erfahrungen von Ungleichzeitigkeiten in historischen Umbrüchen« war der Beitrag der »Frauen im Theater« (FiT) zum diesjährigen Theatertreffen angekündigt worden. Doch außer der Moderatorin Renate Wolf saßen ausschließlich Schauspielerinnen, Regisseurinnen und Autorinnen aus Ost-Berlin auf dem Podium.

»Mein Kapital bin ich selbst«, lautete die von der Buchautorin Renate Ullrich ausgegebene Losung, die Ausgangspunkt der Diskussionsrunde sein sollte. In ihrem vor kurzem veröffentlichten Buch sind Interviews mit Frauen aus den neuen Bundesländern nachzulesen, die Auskunft darüber geben, wie es ihnen als deutsche, am Theater arbeitende Künstlerinnen nach dem Mauerfall ergangen ist. Für die Ostberliner Schauspielerin Walfriede Schmitt scheint die Zeitrechnung im November 1989 aufgehört zu haben: »Von nach der Wende weiß ich nichts«, sagt sie mit Bestimmtheit. »Es klingt wie ein Klischee«, fährt sie fort, »aber die Frau ist die Verliererin der deutschen Einheit.«

Sie erinnert an die frauenfreundlichen Gesetze der DDR, die auch ihr das Gefühl eines relativen Behütetseins gegeben haben, die besondere Rücksichtnahme, die man Müttern, auch am Theater, zuteil werden ließ. Einig sind sich die Gesprächsteilnehmerinnen in bezug auf die grassierende ökonomische Unsicherheit, ansonsten gehen die Meinungen auseinander: Die Autorin und Regisseurin Brigitte Soubeyran, als »erwachsene Frau« vom Rheinland in den sozialistischen Teil Preußens übergesiedelt, glaubt, daß mit dem Sozialismus die letzte Bastion des Patriarchats gefallen sei. Doch sie muß sich bald korrigieren, räumt ein, daß man ihr vor der Wende bei einem Engagement in Köln enorme Widerstände und großes Mißtrauen entgegengebracht habe. »Regisseurinnen«, gesteht sie schließlich, »müssen besser sein als Männer.«

Die Erfahrungen von Frauen in anderen Berufssparten scheinen mit denen im Theaterbereich identisch zu sein. Seit die Schauspielerin Gabi Streichhahn beruflich mehr und mehr benachteiligt wird, begreift sie langsam, »was die Feministinnen wollen«. Anders die Regisseurin Christine Harbort: Sie ist ungehalten. Das sei doch alles lächerlich, wirft sie ein, es gehe ums Theater, nicht ums Geschlecht. Bekanntlicherweise gebe es starke Männer und starke Frauen. Sie vergißt dabei gewisse Dominanz- und Machtstrukturen, denen sich Gesellschaften unterwerfen, und zweifellos handelt es sich auch beim Theater um eine gesellschaftliche Institution, die ohne Macht nicht auskommt. Angesichts der Tatsache, daß die Intendanten, Regisseure und technischen Leiter meist männlichen Geschlechts sind, bleibt zu bezweifeln, daß es da nur »ums Theater« geht.

Im Laufe des Gesprächs wird immer offensichtlicher, daß sich die Frauen an Ostberliner Bühnen in erster Linie nicht als Frauen wahrnehmen, sondern als menschliche Wesen, die von einer historischen und nicht immer erfreulichen Umwälzung ereilt wurden. Wie von einer Zentrifuge sei sie an die Wand gedrückt worden, meint Renate Ullrich. Wenn die Geschichte die Menschen überholt, gibt es nicht immer gleich passende Bilder, adäquate ästhetische Mittel, um das Geschehen auszudrücken. In der Französischen Revolution, so Brigitte Soubeyran, seien auch keine großartigen Stücke entstanden.

Vom Chaos beherrscht sei auch das Kindertheater, berichtet Petra Kelling. Man spiele 78er Stücke, in denen die Kinder frech und die Erwachsenen blöd seien: »Alles abgegessen.« Die Zuschauer, selbst wenn sie Kinder sind, hätten in diesen Tagen Wichtigeres zu tun, als ins Theater zu pilgern. Aber alles sei hin: das Theater als Funktionsträger mit direkter gesellschaftlicher Wirkung, die ökonomische Unabhängigkeit, die Verbundenheit zum Publikum. Als eine feministisch geschulte Theatergängerin aus West-Berlin auf patriarchale Strukturen zweier Ostberliner Inszenierungen verweist, interessiert das keine so recht. Die Frauen an den Theatern der neuen Bundesländer haben ganz offensichtlich andere Probleme.

Zuletzt will die Moderatorin wissen, was sie nun mitnähmen in die neue Gesellschaft — dabei sind längst noch nicht alle in der neudeutschen Ordnung arriviert.

»Nostalgie ist nicht der Weg«, vermutet Walfriede Schmitt und macht auf die Gefährlichkeit des allgegenwärtigen Sich-erinnern-Wollens aufmerksam. Doch sie hat Verständnis. Schließlich werde auf allen Ebenen versucht, die Erinnerung an vierzig Lebensjahre auszurotten. Das habe viele Menschen zutiefst verletzt.

Walfriede Schmitt sagt dies ohne Larmoyanz, Wehmut oder Schuldzuweisung. Eines hat dieser Nachmittag im Spiegelzelt verdeutlicht: Die Kunst der Freiheit wird derzeit eher als Mißstand empfunden, der alle frösteln läßt, ob Frau oder Mann. Dies, und nichts anderes, nimmt man mit in die neue Gesellschaft, egal, wo man beschäftigt ist... oder war. Andrea Winter