Unter Palmen gegen den Strom

■ Das deutsch-französische Gemeinschaftsprojekt „Arte“ geht am Samstag auf Sendung

Morgen geht ein neuer Fernsehsender ins Rennen um die Zuschauergunst: Arte, der europäische Kulturkanal. Das deutsch-französische Gemeinschaftsprojekt hat sich viel vorgenommen: „mutig, witzig und auf hohem Niveau“ gegen „den Strom schwimmen“, dabei spielerisch „über den üblichen Kulturbegriff hinaus“ gehen, die „europäischen Perspektiven“ selbstverständlich nie aus den Augen verlieren und auf die „Geduld der Zuschauer“ setzen. Die brauchen die Programmacher auch, denn Arte wird keine leichte Kost darbieten. Auf Live-Übertragungen vom Sport, Unterhaltungsshows und große Serien will man ganz verzichten. Arte G.E.I.E. (Groupement Européen d'Intérêt Economique) ist eine Gesellschaft des französischen Senders La Sept (50 Prozent) und der Arte Deutschland TV GmbH, an der ARD und ZDF zu je 50 Prozent beteiligt sind.

Als die Ministerpräsidenten der Länder im Herbst 1990 den völkerrechtlichen Vertrag mit Frankreichs Kulturminister Jaques Lang unterzeichneten, da stieß das Vorhaben „europäischer Kulturkanal“ auf wenig Begeisterung. Fürchteten doch Redakteure bei ZDF und ARD, daß Arte zu einer unliebsamen Konkurrenz für Eins Plus und 3Sat heranwachsen könnte. Andere sahen darin eine zusätzliche Abspielstation für öffentlich-rechtliche Produktionen. „Arte serviert sein Menü frisch und nicht aus der Konservendose“, heißt es trotzig aus der Straßburger Rue de la Fonderie 2, dem Standort des Gemeinschaftsprogramms, und Dietrich Schwarzkopf, bis vor kurzem noch ARD-Programmdirektor, jetzt Arte-Vizechef, fügt hinzu: „Vernünftig finanziert, auch wenn man keine großen Sprünge machen kann.“

350 Millionen Mark umfaßt der Arte-Haushalt 1992, der sich je zur Hälfte aus deutschen und französischen Quellen speist. Seit Anfang 1992 zahlt der deutsche Gebührenzahler monatlich 75 Pfennig für das grenzüberschreitende Programm, das allerdings nur über Satellit (Kopernikus) oder Kabel zu empfangen ist. Ab September wird Arte in Frankreich voraussichtlich auch terrestrisch über die ehemalige Frequenz von La Cinq ausgestrahlt. Die dazu erforderlichen zusätzlichen Kosten von 47 Millionen Mark übernimmt die französische Regierung. Mit dem Sendebeginn von Arte wird der Kultursender La Sept, an dem der Staat mit 25 Prozent beteiligt ist, allerdings seine eigene Sendetätigkeit einstellen und nur noch als Produktionsfirma für Arte fungieren.

Arte sendet fünf Stunden täglich, von 19 bis 24 Uhr. An wöchentlich drei Themenabenden wird mit verschiedenen Darstellungsformen, vom Spielfilm bis zur Diskussion, ein Thema präsentiert. Den Auftakt macht am 31. Mai das Thema „Sankt Petersburg“. 81/2 ist der Titel der zehnminütigen Nachrichtensendung, die an sechs Tagen in der Woche „etwas Zusätzliches liefern“ will, was der Zuschauer „so bei seinen anderen Informationsquellen nicht findet“. Im ersten Sendemonat muß auf 81/2 verzichtet werden: Anlaufschwierigkeiten in der Startphase verhindern „den anderen, originellen Blick auf die Dinge“. Zur besten Sendezeit, ab 19 Uhr, laufen Dokumentarfilme, für die sich Arte als „Forum des Dialogs zwischen Generationen und Nationen“ anbietet, denn, wie Dietrich Schwarzkopf so nett anmerkte: „Arte hat ein Herz für Kreative.“ Außerdem stehen 78 Fernsehfilme auf dem Programm, und dabei hat Arte „keinerlei Berührungsängste gegenüber Humor, Witz und Ironie“. Angaben über mögliche Reichweiten will Arte- Präsident Jérome Clément keine mehr machen.

In der mit gläsernen Kuppeldächern und Palmen-Innenhof architektonisch ausgetüfelten Straßburger Sendezentrale wird bis auf 300 Stunden Nachrichten- und Informationssendungen pro Jahr nicht viel produziert. Sie ist lediglich für Programmgestaltung und -ausstrahlung sowie für die mehrsprachigen Fassungen der einzelnen Sendungen zuständig, denn Arte sendet deutsch- französisch. 130 Mitarbeiter zählt der Personalchef.

Kreative Dokumentarfilmemacher müssen ein Labyrinth aus Zuständigkeiten durchdringen, bevor ihr Werk über die deutsch-französischen Bildschirme flimmern kann. Sie können mit ihrem Konzept nicht einfach zur Arte-Zentralredaktion nach Straßburg fahren, sondern müssen zunächst einen Redakteur der öffentlich-rechtlichen Sender überzeugen. Der wendet sich dann an den Arte-Beauftragten in seinem Haus, der sich seinerseits mit Baden-Baden, der Koordinierungsstelle von Arte Deutschland, in Verbindung setzt. Dort überprüft man das Exposé nach seiner „Quotensubstanz“. Jeder Sender hat eine bestimmte Quote, die er einbringen darf. Die Mitarbeiter der beiden ostdeutschen Anstalten ORB und MDR müssen draußen bleiben, ihre Anstalten sind noch nicht Mitglied der Arte Deutschland TV GmbH. Erst nachdem diese Hürden geschafft sind, kann der Filmemacher den Rhein überqueren und sein Projekt der Programmkonferenz vorstellen. Ilona Marenbach