Wertkonservativ

Die Guns N'Roses im Berliner Olympiastadion  ■ Von Thomas Groß

Wirklich abzusehen war es nicht, auch wenn es im nachhinein so aussieht. 1987, als Guns N'Roses ihre ersten Titelstories hatten, schienen sie ein passabler Witz zu sein, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Rocker- Posen, toughe Blicke, Stirnbänder und Tattoos auf nackten Oberarmen, zusammen ergab das eine hübsch kompakte Montage der Attraktionen: Mann, wie sehen die denn aus! Wie gut erfunden und gekonnt übertrieben, die neueste Nummer im Kampf um Aufmerksamkeit und Marktanteile. „Sleaze-Rock“ oder auch „Grebo“ hießen die rasch erfundenen Markenzeichen für die fröhliche Rückkehr der Schmierigkeit. Zodiac Mindwarp und andere Sex-Monster from outer space kämpften mit Sänger Axl Rose in einer Front. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, den comicartigen Zug dieser Inszenierungen für bare Münze zu nehmen. Zu sehr war Rock Pop, eine Angelegenheit der Zitate, die sich längst von ihren schnöden Inhalten emanzipiert hatten. So sah das aus damals: Rock'n'Roll war ein ironisches Spiel; manche sprachen ungeniert von „Postmoderne“.

Heute sind Guns N'Roses im Grunde immer noch ein Witz, nur leider ein todernster. Interessiert verfolgt ein Millionenpublikum die neuesten Helden- und Schandtaten des Sextetts aus Hollywood, läßt sich von Presse und MTV mit Drogenanekdoten füttern und leidet tief betroffen mit Axl, wenn er im 'Rolling Stone' von seiner schweren Kindheit erzählt. Obwohl all die Sauf-, Rauf- und Reuegeschichten den Beigeschmack von Comic und Seifenoper nicht losgeworden sind, haben sich die Vorzeichen vollständig verkehrt. Guns N'Roses sind ein Zitat, das keines mehr sein will. Es hat den Aufstand geprobt gegen die Bedingungen, aus denen es hervorgegangen ist; und es hat auf seine Weise damit Erfolg gehabt. Mittlerweile versteht nicht nur die Band ihren eigenen Mythos als Realität; für die meisten verkörpern Axl Rose, Saul „Slash“ Hudson nebst ihrer (trotz Kumpelattitüde) austauschbaren Seitenmänner tatsächlich die Wiederkehr einer planen, stupiden Eigentlichkeit. Slash brachte es erst kürzlich wieder in einem Interview auf den Punkt: „Die Aufrichtigkeit mit dir selbst und deinen Songs entscheidet über ihre Qualität. Durch Ehrlichkeit wird das, was du tust, wahr.“

„Ehrlichkeit“ als Fundamentalismus des Gefühls, als Stunde der wahren Empfindung, als Transsubstantiation von Instinkt in nicht weiter befragbare Expression: wofür BAP gegeißelt, Roger Chapman gehaßt, Frauen- und Friedensbewegung kritisiert wurden — Axl&Co schmieren es ihren Fans noch einmal unverdünnt um die Ohren. Bloß die Messages sind andere, toughere, schickere — und dümmere. Sobald Guns N'Roses die Bühne betreten, erhebt der Rockismus sein häßliches Haupt, und „Ehrlichkeit“ wird zur Lizenz für Bauchrednerei der stumpfesten Sorte. „What does it matter to ya, when ya got a job to do ya got to do it well, you gotta give the other fella hell...so live and let die!“. Axl steht auf der Bühne des Berliner Olympia- Stadions und kräht seine Botschaft in den ansonsten schönen und friedlichen Abend hinaus. Kaum zu glauben, daß die McCartneys diesen Song geschrieben haben, daß er einmal Titelmelodie für einen James- Bond-Schinken war, so sehr geht der Gesang des W. Axl Rose in seiner unmittelbaren Bedeutung auf. Kein Zweifel: der Mann glaubt auf fast biblische Weise an das, was er singt. Mit der Mär vom Gunner Man, der sich mit der Knarre selbst verwirklicht, ist es ihm so ernst wie mit dem Jesus-Konterfei, das sein T-Shirt ziert. Unten in der Arena tragen sie die ersten Ohnmächtigen davon.

Wo sich die Welt der Triebe derart ungeküßt von jeder Vernunft ins Wirkliche übersetzt, kann es in der Geschlechterfrage naturgemäß keinen Fortschritt geben. Daß One in A Million von der Guns N'Roses-Platte Lies ein rassistisches, frauen- und schwulenfeindliches Machwerk von Rocksong ist, hat sich inzwischen herumgesprochen; daß nahezu jedes Guns N'Roses-Stück von diesem finsterem Triebquatsch beseelt ist, schon weniger. Dabei muß man wirklich nur mit halbem Ohr bei der Sache sein, um die Dummheit knüppeldick reingeschoben zu bekommen: Leben und sterben lassen — das gilt nicht nur für den „other fellow“ im Großstadtdschungel, es gehört quasi zum guten Ton des männerbündelnden, homophoben, im Grunde seines Mördergrubenherzens ängstlichen weißen Mittelklasse-Fieslings: „Back off, back off bitch, down in the gutter dyin' in the ditch, you better back off, back off bitch, face of an angel with the love of a witch“, röhrt es auf dem einschlägigsten Titel von Use Your Illusions I&II, der Doppel-Doppel-Mammut- Monster-LP, mit deren Material die Band zur Zeit auf Tour ist. Alles Fotzen außer Mutti.

Obwohl Frontman Axl sich im Laufe des Abends dreimal umzieht, beim hymnischen November Rain eigenhändig in die Tasten greift, im mindestens ebenso kitschigen Song- Epos Civil Wars als Uncle Sam mit Amerikaflagge daherkommt und sich zum Schluß das Hemd ganz vom Leib reißt, bleibt das Lied immer dasselbe. Die Guns N' Roses-Show, von den den Betrieb bedienenden Musikjournalisten blumig als Offenbarung gepriesen, ist tatsächlich ein elendes Gezwerge in Rockposen, ein dreistes Droppen von Four-Letter- Words, ein einziges schlichtes und selbstläuferisches Auf-die-Kacke- hauen, allerdings mit einem Pathos vorgetragen, als hätte die Band es gerade selbst erfunden.

Axl klopft sich jesusmäßig auf die Brust, schafft sich vor seinem Publikum, spurtet mal zum einen, mal zum anderen Ende der laufstegartig ausgebauten, in der Mitte nach vorn ins Publikum ragenden Monsters- Of-Rock-Bühne. „Getriebenes Tier“ ist die Assoziation, die sich einstellen soll, das gute alte Rock'n'Roll-Animal is here to stay. Slash haut natürlich in dieselbe Kerbe, einfach, indem er so spielt und vor allem so aussieht wie auf allen Guns N'Roses-Platten und -Postern (die anschließend von fliegenden Händlern dutzendweise vertickt werden: „T- Shirt, 20 Maaaack“).

Komisch, daß sowas bei den Zigtausend im Olympiastadion zumindest einigermaßen ankommt, daß folgsam Lichtlein angezündet werden, als es endgültig dunkel wird, und die Band, nachdem sie Wild Horses von den Stones und Dylans Knockin' on Heaven's Door blindlings gemeuchelt hat, nicht ohne Zugabe von der Bühne darf. Denn Guns N'Roses sind ja nicht mal rockimmanent gese

hen gut. Die neueren Entwicklungen der Metal-Szene sind an ihnen vorübergegangen, den Klassikern des Genres wie AC/DC, Black Sabbath oder Led Zeppelin können sie auch nicht das Wasser reichen. Warum also um alles in der Welt, fragt man sich, mußten es gerade die sein? Was fehlte den anderen? Wie krank lag der Dow-Jones-Index in Sachen Rock? Warum hat das Kapital in Koalition mit dem „Zeitgeist“ nicht würdigere Vertreter zu ganz großen Ikonen erkoren, etwa die saufseligen, großartigen Beasts of Bourbon, die splattermoviehaften, lustigen Slayer, die wahrhaft destruktiven Napalm Death oder meinetwegen sogar die Vorgruppe an diesem Abend, Faith No More?

Die Antwort ist ebenso simpel wie traurig: Guns N'Roses, das sind gar nicht die dedicated followers des Punk, als die sie gehandelt werden; „No future“ ist für sie ein Fremdwort, gesunder Nihlismus war noch nie ihre Sache. Schon gar nicht leihen sie „den Ausgestoßenen und Rebellen ein paar schmutzige Worte, ein paar schnelle Rhythmen und ein paar zerfetzte, harte Melodien“, wie der 'Spiegel‘ in seiner üblich trüben Art mutmaßte. Statt dessen sind die bösen Buben Wertkonservative und — trotz oder wegen ihrer paradiesischen Naivität — schlimme Abzocker. Längst ist der Kleinbürger- Anarchismus, den sie vertreten, Bestandteil der Moral Majority — in den USA und anderswo. Gedankenlosigkeit rules o.k: „We got fun'n'games, we got everything you want, honey we know the names, we are the people that can find.“ Deutlicher kann man es gar nicht sagen. Das Abschnapp-Universum feiert seine neuen Herren.

Und deshalb sind Guns N'Roses Vertreter eines Rock'n'Roll ohne Scheitern und Würde. Was sie in Wort, Musik und Text propagieren, ist eine eindimensionale Apotheose des ganz normalen Arschlochseins. Du gehst kaputt, aber ich geh' nicht mit. Mach's wie ich, dann wirste glücklich. Bloß wirst Du es nie schaffen. Wozu schließlich touren wir mit 11 Trucks, 60 Mikros, 90 Scheinwerfern und 250.000 für Licht und Sound durch die Lande? He? Doch nicht einfach so für lau? Wieso haben wir mehr als 15 Millionen von Use your Illusions I & II verkauft? Und wieso überhaupt „Illusions“?

Die Typen sind schlimmer als Bruce Springsteen.

Weitere Konzerte in Deutschland: 30.5. Köln; 3.6. Hannover; 20.6. Würzburg