Die Wahrheit wird euch frei machen

■ Der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe von Malawi

Zur Verlesung von den Kanzeln aller katholischen Kirchen des Landes am Sonntag, dem 8.März 1992, verfaßten die Bischöfe einen Hirtenbrief zu 14 Punkten: 1.Würde und Einheit des Menschen, 2. Das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft, 3. Bemühen um größere Gleichheit und Einigkeit, 4. Das Recht auf angemessene Bildung, 5. Probleme unseres Bildungssystems, 6. Partnerschaft von Kirche und Staat in der Erziehung, 7. Eine angemessene Gesundheitsversorgung für alle, 8. Schwierigkeiten des Gesundheitssystems, 9. Die Aids- Tragödie, 10. Die Beteiligung aller am öffentlichen Leben, 11. Meinungs- und Versammlungsfreiheit, 12. Förderung der Beteiligung aller, 13. „Die Wahrheit wird euch frei machen“, 14. Eine gerechte Justiz.

Der hier vorgestellte Auszug stellt den Text der Punkte 10 bis 13 vor.

Die Beteiligung aller am öffentlichen Leben

Afrikanische Gesellschaften haben immer schon anerkannt, daß das, was für die Kirche gilt, immer auch für die gesamte Gesellschaft gilt; ihre Stärke liegt in der Anerkennung der vielen verschiedenen Gaben aller und der Förderung dieser Gaben, auch zum Aufbau der Gemeinschaft. „Mutu umodzi susenza denga“ (Ein Dach kann nicht von einem allein gehalten werden). Wahrheit und Weisheit sind nicht das Monopol einzelner. Keine einzelne Person — oder eine Gruppe von einzelnen — kann von sich behaupten, alleinige Quelle für den Fortschritt einer Nation zu sein. „Mtsinje wopanda miyala susunga madzi“ (Ein Fluß ohne Steine führt kein Wasser). Für das Funktionieren einer Gruppe ist oft der Beitrag ihres demütigsten Mitglieds notwendig. „Wopusa anaomba ng'oma wochenjera nabvina.“ (Der Narr schlägt die Trommel, nach der die Klugen tanzen.)

Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Hinzukommt, daß Menschen nur dort geehrt werden — und diese Ehre steht ihnen zu —, wo ihnen erlaubt ist, frei von Beschränkungen nach der Wahrheit zu suchen, ihre Meinung zu sagen, angehört zu werden und ihrer Gemeinschaft schöpferisch zu dienen in freier Wahl ihrer Mitstreiter. Niemand soll dafür Unterdrückung leiden, daß er seine Haltung ehrlich bekundet und nach ihr lebt — intellektuell, religiös oder politisch.

Wir können nur bedauern, daß dies in unserem Lande nicht immer der Fall ist. Wir müssen dankbar dafür sein, daß die Freiheit der Religionsausübung respektiert wird; diese Freiheit jedoch existiert nicht, wenn der Glaube allein im Alltag gelebt wird. Die akademische Freiheit ist ernsten Beschränkungen unterworfen; auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen, wird oft als Verrat dargestellt; wer Mißstände in unserem Land anprangert, schädigt angeblich unserem Ruf; das Monopol der Massenmedien und Zensur verhindern den Ausdruck abweichender Meinungen; viele Menschen haben für ihre politische Haltung teuer bezahlen müssen; Zugang zu öffentlichen Orten wie Märkten, Krankenhäusern, Busbahnhöfen etc. wird denen, die keinen Parteiausweis vorzeigen können, oft verweigert; die ständige Forderung nach Extrazahlung ist zu einem alltäglichen Ereignis geworden.

Dies ist zutiefst zu bedauern. Kreiert wird hierdurch eine Atmosphäre der Feindseligkeit unter den Bürgern. Angst vor Verfolgung und gegenseitiges Mißtrauen produzieren eine Gesellschaft, in der die Begabung vieler brachliegen muß und in der kein Raum für Engagement existiert.

Förderung der Beteiligung aller

Wir appellieren an jeden von euch, diesen Stand der Dinge als solchen anzuerkennen und für eine Veränderung des Klimas zu arbeiten. Die Beteiligung am öffentlichen Leben des Landes ist nicht nur ein Recht: sie ist eine Pflicht, die jeder Christ mit Stolz auf sich nehmen und mit Verantwortung ausüben soll. Alle Menschen in verantwortlicher Position, ob in Regierung oder Verwaltung, haben die besondere Pflicht, durch ihre Arbeit eine Atmosphäre von Vertrauen und Offenheit wiederherzustellen. Die Partizipation aller wird jedoch solange Fiktion bleiben, wie angemessene Möglichkeiten von Meinungsäußerung und Aktion nicht hergestellt sind: Notwendig sind eine unabhängige Presse, offene Foren der Diskussion, Herstellung des Rechts aller Bürger, sich frei zu politischer und gesellschaftlicher Arbeit zu organisieren, und so weiter...

„Die Wahrheit wird euch frei machen“

Ein erster Schritt zur Wiederherstellung einer Atmosphäre des Selbstvertrauens ist es vielleicht, wenn der wahre Zustand der Nation anerkannt wird. „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Johannes 8,32). Diese Worte Christi haben nicht nur eine religiöse Bedeutung. Sie drücken auch die tiefe menschliche Wahrheit aus.

Wir haben uns allzu lange geweigert zu sehen, daß unser Land trotz aller lobenswerten Erfolge immer noch unter vielen Übeln leidet; der wirtschaftliche und gesellschaftliche Fortschritt dringt nicht zur Masse des Volkes vor; viel bleibt zu tun, um ein angemessenes Bildungs- und Gesundheitssystem für alle zugänglich zu machen; das Aids-Problem bedeutet eine ungeheure Herausforderung; wiederholt ungünstige Klimabedingungen sind verantwortlich für schlechte Ernten und das darauffolgende Elend der Bevölkerung...

Die Menschen werden nicht erschrecken, wenn sie dies zu hören bekommen, sie wissen es bereits. Sie werden eher dankbar sein, daß ihre wahren Bedürfnisse anerkannt werden und man Anstrengungen unternimmt, auf sie einzugehen. Sie mit Schlagwörtern und Halbwahrheiten — oder Unwahrheiten! — zu füttern, bedeutet nur, ihren Zynismus und ihr Mißtrauen gegenüber Vertretern der Regierung zu nähren. Ein solches Verhalten kreiert lediglich eine Kultur des immerwährenden Gerüchts. Wirklicher Fortschritt kann nur durch die Identifikation der wirklichen Probleme und Bedürfnisse und die Ausschöpfung aller Ressourcen zur Lösung dieser Probleme erreicht werden.

Erzbischof J.Chiona, Bischof F.Mikhori, Bischof M.A.Chimole, Bischof A.Assolari, Bischof A.Chamgwera, Bischof G.M.Chisendera, Monsignore J.Roche, Fr.Gamba