Das Alte stürzt

■ Terror und Demokratiebewegung in Malawi

Es geschah am 7.April 1992 auf dem Kamuzu International Airport. Chakufa Chihana, Mitglied der Internationalen Gewerkschaft, war soeben mit einer Linienmaschine aus Johannesburg eingetroffen. Begrüßt von Diplomaten und etwa hundert politischen Freunden, begann er, noch auf dem Rollfeld eine Rede zu halten, als ein Auto aus einem der Flughafengebäude herausgeschossen kam. Vier Männer sprangen heraus und zerrten ihn auf den Rücksitz. Gefolgt von Polizeiautos raste der Wagen davon. Zur Zeit der Niederschrift dieses Artikels ist Chihana weiterhin in Haft.

Bemerkenswert an dieser Szene war nicht so sehr, daß Chihana verhaftet wurde, denn seit Jahrzehnten sind malawische Bürger und Bürgerinnen aufgrund viel beiläufigerer Geschehnisse und Bemerkungen in Haft genommen worden. (Zum Beispiel der Dozent der Anatomie, der sich über die Unfähigkeit älterer Männer zur Zeugung ausließ, was angeblich den alternden Präsidenten auf Lebenszeit, Dr.Kamuzu Banda, beleidigte; oder jener Lehrer, der statt vom „Präsidenten auf Lebenszeit“ einmal einfach von dem „Präsidenten“ sprach; oder der Rechtsanwalt, der die Kleidungsvorschriften kritisierte, die den Frauen verbieten, lange Hosen zu tragen. Darüberhinaus gibt es Hunderte politisch und religiös motivierte Kritiker des Regimes, von denen nicht wenige seit über zehn Jahren und mehr im Gefängnis sitzen.)

Bemerkenswert war, daß Chihana geglaubt hatte, er könne auf malawischem Boden eine kritische Rede halten, ohne daß ihm etwas geschieht. Auch seine Freunde, die zur Begrüßung dort waren, hatten das offenbar für möglich gehalten.

Diese Veränderung des Klimas, bisher für die Welt außerhalb Malawis noch kaum fühlbar, ist zum größten Teil Resultat eines Dokuments, das hier (in Auszügen) abgedruckt ist. Am 8.März veröffentlichten die römisch-katholischen Bischöfe von Malawi einen Hirtenbrief zur Fastenzeit, der in den Kirchen des Landes verlesen wurde; sechzehntausend Exemplare wurden gedruckt und landesweit verteilt. In diesem Hirtenbrief werden Mißbräuche der Justiz und die Einschränkung der Meinungsfreiheit scharf kritisiert.

Seit 1964 ist nichts auch nur annäherend so Kritisches über den Zustand der Menschenrechte in Malawi geäußert worden. Am 10.März wurden die Bischöfe abgeholt und im Polizeihauptquartier von Blantyre acht Stunden lang festgehalten und verhört. Danach wurden sie in das Haus des Erzbischofs in Blantyre gebracht und dort bis zum 13.März unter Hausarrest gestellt. Während der Verhöre wurden sie wiederholt der Aufwiegelung beschuldigt, und die Regierung erklärte den Hirtenbrief öffentlich zu einer „aufwieglerischen Publikation“, was den Besitz des Dokumentes zu einer kriminellen Handlung machte.

Die Regierung reagierte mit extrem hetzerischer Terminologie auf den Brief der Bischöfe. In einem Kommentar der offiziellen 'Malawi News‘ werden die Autoren unter der Schlagzeile „Keine Gnade“ als „mafiose Verbrecher“ bezeichnet, die den „Terrorismus der IRA ins Land importieren“ wollten. Die Bischöfe wurden in fast lyrischer Weise als „stürmische Priester“ bezeichnet, die man loswerden müsse.

Die Regierung versuchte außerdem, den Hirtenbrief als sektiererische Aktion der römisch-katholischen Kirche abzutun, jedoch hat sich die presbyterianische Kirche von Schottland, deren prominentes Mitglied Banda ist, mit den katholischen Bischöfen solidarisch erklärt.

Am ungewöhnlichsten war ein Treffen von Kabinettsmitgliedern und hohen Parteifunktionären am 11.März, das im Fernsehen übertragen wurde. Dort riefen einige der Teilnehmer (unter ihnen Mai Manjankosi, prominentes Mitglied der Frauenorganisation der Partei) dazu auf, die Bischöfe umzubringen. Mai Manjankosi beschrieb in ihrer Rede den Präsidenten als „Sohn Gottes, wie Jesus“. Kurz zuvor hatte Banda gedroht, seine politischen Gegner seien „Fleisch für die Krokodile“. Es gibt keinen Zweifel, daß diese Hetze wörtlich gemeint ist und auch so verstanden wird.

Erst nach internationalen Protesten wurde die Regierung zurückhaltender. Mitglieder der paramilitärischen Jungen Pioniere von Malawi haben die offiziellen Stellungnahmen jedoch bereits zum Vorwand genommen, mit Gewaltaktionen gegen Katholiken vorzugehen. Am 19.März gab es einen Brandanschlag auf die Druckerei in Balakala, in der der Hirtenbrief gedruckt wurde. Junge Pioniere sollen außerdem Eingänge von katholischen Kirchen verbarrikadiert und Zweige vor die Türen gestreut haben — in Malawi ein traditioneller Beerdigungsbrauch.

Dennoch haben die Bischöfe gezeigt, daß trotz allem öffentliche Kritik in Malawi möglich ist. Oberschüler vom Chancellor-College in Zomba und Studenten der Blantyrer Polytechnischen Hochschule haben Demonstrationen organisiert, ein beispielloses Ereignis in Malawi, und die Regierung gezwungen, beide Schulen zu schließen; einige Studenten wurden verhaftet und sieben sind angeblich im Chichiri-Gefängnis. In Zomba ließ man die Schüler jedoch laufen. Die Polizei bemühte sich dort kaum, die Demonstranten zu zerstreuen. Der Grund dafür waren vermutlich die Massen von Soldaten, die nicht etwa der Polizei halfen, sondern durch Übernahme der Slogans ihre Unterstützung für die Studenten und Bischöfe deutlich machten.

Das zweite hier vorgestellte Dokument enthält einen unmißverständlichen Hinweis darauf, daß die Morddrohungen der malawischen Regierung ernstgenommen werden müssen. Es handelt sich hierbei um das erste Beispiel eines malawischen Samisdats, ein Flugblatt, das unmittelbar vor dem „Tag der Märtyrer“, dem 3.März, verteilt wurde. Am 3.März ehrt das Land traditionsgemäß die Toten des Unabhängigkeitskampfes. Die anonymen Autoren des Flugblattes, offenbar Mitglieder der Untergrundbewegung für Demokratie, rufen zum Gedenken für die „neuen Märtyrer“ auf, die vielen Bürger Malawis, die durch die jetzige Regierung ums Leben kamen.

In dem Flugblatt wird unter anderem Bezug genommen auf den Journalisten Mkwapatira Muhango, der 1989 zusammen mit Frauen und Kindern im sambischen Exil bei einem Brandanschlag ermordet wurde. Drei Wochen vor diesem Mord hatte Präsident Banda ihn, wie auch jetzt die Bischöfe, öffentlich als Kriminellen bezeichnet.

Richard Carver

Der Autor ist Afrika-Experte bei amnesty international in London.