Erster Spitzen-Flirt reichlich erfolglos

Spitzengespräch zwischen Regierung und SPD brachte keinen Deut der Annäherung/ Waigel läßt sich von SPD nicht in Bundesfinanzen reinreden/ Übereinstimmung lediglich in der Eigentumsfrage  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Die Spitzenpolitiker der Republik inszenierten mit viel Aufwand eine absolute Nullrunde. Atmosphäre gut, Ergebnisse keine, so lautete die Bilanz nach dreieinhalbstündigem Gespräch von Koalitionsparteien und SPD im Kanzleramt. Als neue Erkenntnis kann allenfalls gelten, daß Regierung und Opposition in „unterschiedlichen Einschätzungswelten“ leben. So befand jedenfalls SPD- Chef Björn Engholm nach dem Parteiengespräch.

In vorgeschriebener Ordnung verkündeten erst die Regierungsseite, dann die SPD dem Publikum, daß die Frage, wie es mit dem deutschen Einigungsprozeß und den Finanzen weitergehen solle, Hauptteil des Treffens gewesen sei. Wolfgang Schäuble, CDU-Fraktionsvorsitzender, orakelte dunkel, das „sachbezogene, konstruktive Gespräch“ könne eine „Konzentration der Anstrengungen nach sich ziehen“. Es blieb unklar, wie, denn auch Schäuble referierte zur Haushaltspolitik: „Hier bleibt der Meinungsstreit.“ Auf seine eigene Art machte Theo Waigel, CSU-Chef und Finanzminister, deutlich, daß er nicht im entferntesten daran denkt, seine Finanzpolitik den Vorstellungen der SPD anzugleichen. Er hielt einfach ein volkswirtschaftliches Seminar zu seinen Haushaltseckwerten ab — sehr zum Leidwesen der versammelten Journalisten, die diesen Vortrag zum vierten Mal mitanhören mußten. Unumstößlich bleibt für ihn, daß striktes Sparen und Haushaltskürzungen die Finanzen konsolidieren werden und die von der SPD geforderten Einnahmeerhöhungen falsch, überflüssig und riskant seien.

Ziemlich unverblümt stellte Björn Engholm klar, daß das Gespräch bei den entscheidenden Fragen, wie die Transferleistungen in den Osten zu finanzieren seien und wie die Wirtschaftsentwicklung in den neuen Ländern weitergehen soll, keinen Deut Annäherung gebracht hat. Während die Regierung im Osten das Ende der Talfahrt erreicht sieht, warnt die SPD. Die Gesellschaft, insbesondere die Regierenden, „sitzen auf einem sozialen Sprengstoff, den sie unterschätzen“. Der „schlicht enttäuschte“ Ostberliner SPD-Politiker Wolfgang Thierse hatte sogar „das unbezwingliche Gefühl“, Theo Waigel und er „lebten in verschiedenen Ländern“. Lediglich in einem einzigen Punkt, nämlich bei den Eigentumsfragen im neuen Bundesgebiet, habe es eine vage Annäherung gegeben. Zwar sei die Bundesregierung nicht zu einer verfassungsändernden Aufhebung des Prinzips „Rückgabe vor Entschädigung“ bereit, aber unterhalb dieser Schwelle wollen die Fraktionen das 2. Vermögenrechtsänderungsgesetz nun durchforsten. Um Investitionen nicht unabsehbar zu behindern, habe man sich auf das ehrgeizige Ziel verständigt, die offenen Vermögensfragen in Drei-Jahres-Frist zu lösen. Von konkreten Maßnahmen konnte aber auch hier keine Rede sein. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin sieht bisher nur vage Absichten.

Ansonsten: Fehlanzeige. Die Bereitschaft, den Vorschlag des Bundespräsidenten zu erörtern, habe unter Null gelegen, so Engholm. Thierse wurde deutlicher. Ein Lastenausgleich, wie Richard von Weizsäcker ihn angeregt habe, sei „rüde zurückgewiesen“ worden. Nur ganz allgemein sei die Regierungsseite darauf eingegangen, man dürfe die restlichen 5.000 Treuhandbetriebe nicht kaputtgehen lassen.

Die strikte Ergebnislosigkeit in Sachfragen hinderte die Spitzenrunde allerdings nicht, sich tiefsinnig über das Thema „Die verdrossenen Bürger und die Parteien“ auszulassen. Auch der Kanzler, berichtete Engholm, bestätige, daß das Klima des Teilens schlecht sei. Für FDP- Fraktionschef Solms ist es „schon für sich genommen eine Botschaft“, wenn „die klassischen Parteien“ über gemeinsame Aufgaben sprechen. Schäuble verkündete zur Parteiverdrossenheit „übereinstimmende Berurteilungen“. Indes: das Problem gibt es auch in anderen Ländern, wer die Ursachen nur bei aktuellen bundespolitischen Problemen suche, „würde zu kurz springen“. Engholm wiederum: Die SPD sei zu den Gesprächen gegangen, „weil in Deutschland zu viele Probleme verschoben und nicht gelöst werden“. Nicht nur an den Rändern drohe im demokratischen Gefüge einiges wegzurutschen.

Nicht einmal bei den Fragen, die die Runde „vorab“ (Engholm) besprochen hatte, war am Ende das Ergebnis klar. Bei den verfassungsändernden Themen Maastrichter Verträge, Privatisierung von Post und Bahn, Schengener Vertrag, an dem die heikle Asylfrage hängt, braucht die Regierung die Zustimmung der SPD. Schäuble und Waigel sahen sich mit der SPD einig, daß die Ratifizierung des Schengener Abkommens inklusive Änderung des Paragraphen 16 im Grundgesetz bald über die Bühne sei. Bei Enholm klang es anders. Die SPD bliebe beim Individualrecht auf Asyl, das europäisch harmonisiert sein müsse, bevor die SPD einer Grundgesetzänderung zustimmt. Wahrscheinlich wissen beide nicht genau, wie weit die Unterhändler von Union und SPD im Bundestag sich zur Asylfrage schon angenähert haben. Ob ein weiteres Spitzengespräch stattfinden wird, blieb offen.