Leidenschaftsloses Gelingen

■ Bernhard Haitink und die Philharmoniker mit Mahlers siebter Sinfonie

Mahlers siebte Sinfonie ist sicher nicht seine populärste. Mag sein, daß ihr die Schwierigkeiten, die Mahler bei ihrer Komposition hatte, noch anzuhören sind. Hans F. Redlich, der Herausgeber der Mahler-Gesamtausgabe, spricht im Vorwort der Partitur von der »inneren Zerrissenheit« der Sinfonie.

Mahler hatte zwei Mittelsätze der Sinfonie, das Nachtstück I und das Nachtstück II, schon 1904, vor Abschluß der sechsten Sinfonie geschrieben. Aber die Mittelsätze waren nicht das Problem — das Problem waren nach dem Hammerschlag im Finale der Sechsten (der gewissermaßen mit aller Musik Schluß gemacht hatte) die Ecksätze, denen die Aufgabe der Setzung und Vollendung der musikalischen Form zufällt. Diese Ecksätze, die Mahler dann 1905 innerhalb von vier Wochen komponierte, sind riesig geworden, jeweils etwa zwanzig Minuten lang. Der ungeheure Aufwand an Geste und Klang, den Mahler darin treibt, bildet den »unheilbaren Gegensatz« (Redlich) zur Intimität der Nachtstücke und des intermittierenden Scherzos.

Etwas »Nächtliches« haben allerdings auch sie — etwas von Gedankenwälzen, von Bilderstürmen, die nicht aufhören wollen, Formulierungen, die nicht auf den Punkt zu bringen sind, etwas von schlafloser Nacht. Auffällig ist in der Kraftanstrengung und gequälten Heiterkeit des Finales das Episodenhafte. Die Musik will auftrumpfen und die Welt umarmen, findet aber nicht recht den Weg dahin. Es ist wie ein Aneinanderreihen, Ausprobieren und Verwerfen von Schlußformeln, an die die Musik selber nicht mehr glauben mag. Immer wieder baut Mahler Steigerungen auf, setzt gewaltige musikalische Doppelpunkte — aber dann geht die Musik immer neu und anders weiter. Nie erreicht sie einen Gipfel. Der Schluß selbst knallt dann mitten rein in eine an sich leise und langsame, erlahmende Passage. Er ist nicht »Rundung« und »Vollendung«, sondern unvermittelt, forciert, angeklebt.

In Haitinks Interpretation mit den virtuosen Philharmonikern ist das allerdings kaum zu merken. Haitink dirigiert die Siebte, als wolle er sie dem Publikum sympathisch machen — als C-Dur-Sinfonie, die sie unter anderem auch ist, expressiv, aber nicht exaltiert. Genau die Art Interpretation, die in Plattenkritiken oft als »bescheiden hinter den Notentext zurücktretend« gelobt wird. Symptomatisch, daß Haitink bestimmte Exzesse, die in der Partitur vorgeschrieben sind, nicht mitmacht. Die Hörner sollen im Getöse des Finales ihre Schalltrichter aufrichten — eine immer etwas obszön wirkende, mehr aufs Zuschauen als Zuhören gerichtete Geste, die den Musikern manchmal etwas peinlich ist. Haitink erspart es ihnen, Bernstein war an solchen Stellen dem Notentext treuer.

Eins ist aber festzuhalten: Haitink kann die Sinfonie. Die ist nämlich technisch sehr schwer. Vor ein paar Jahren hatten Philharmoniker in derselben Sinfonie unter Ozawa heftig gepatzt. Hier waren sie absolut präsent. Dieses Gelingen ist allerdings der einzige bleibende Eindruck. Eine Tour de force — Haitink und den Philharmonikern gelingt eine Musik, die sich selber nicht mehr gelingt. Thierry Chervel