»Berlin, ein Sumpf bei Potsdam«

■ Wer will die Fusion mit Brandenburg?/ Ministerpräsident Manfred Stolpe, Senator Volker Hassemer und Bürgermeisterin Christine Bergmann suchten Antworten

Berlin. Auf diese Frage waren die Politiker aus Berlin und Potsdam nicht vorbereitet. »Wer will die Vereinigung von Berlin und Brandenburg?« wollte Bündnis-90-Mann Jens Reich von ihnen wissen. Sei ein großes gemeinsames Land wirklich »sinnvoll«?

Der Verein »Perspektive Berlin« — Lea Roshs Debattierclub — hatte zur Diskussion in die Ostberliner Akademie der Künste in der Luisenstraße geladen. Manfred Stolpe, Ministerpräsident von Brandenburg, Stadtplanungssenator Volker Hassemer und Bürgermeisterin Christine Bergmann mühten sich um Antworten. Ihre Argumente blieben blaß und technokratisch. Ein Zusammenschluß sei auf alle Fälle die »bessere Lösung« als andere Kooperationsformen, versicherte Stolpe. Bei der Gewerbeansiedlung, in der Abfall- und Energiepolitik, in der Landesplanung und der Wirtschaftspolitik kämen die Stadt und das Land nicht aneinander vorbei.

Schon fünfmal hatte Lea Rosh zur Diskussion des Themas »Berlin- Brandenburg« eingeladen, in fünf verschiedene brandenburgische Städte. In Cottbus und Frankfurt/ Oder habe sie »heftigsten Widerspruch« vernommen gegen eine Fusion mit »diesem Moloch Berlin, von dem man gefressen wird«, erinnerte sich die Moderatorin. Gestern, zur Abschlußveranstaltung im Herzen der Bestie, war es nur eine einzige Bürgerin — rotes Brillengestell, grüne Bluse —, die sich sorgte über den Zusammenprall »totaler Stadtmenschen« auf der einen Seite, von »Landbewohnern« auf der anderen. »Ich habe kein sehr gutes Gefühl«, bekannte sie. »Man kann doch nicht 40 Jahre unter den Teppich kehren«, fügte sie leise hinzu.

Die anderen — angeblich so wachen — Stadtmenschen schwiegen still und überließen es dem Podium, die Sache unter sich auszumachen. Ausgerechnet die aus Hellersdorf stammende Bürgermeisterin Bergmann erinnerte an die Angst der Westberliner vor einer »Verostung«. Einige Podiumsdiskutanten waren unterdessen schon bei der Frage angelangt, ob man das gemeinsame Land in Regierungsbezirke unterteilen sollte oder besser nicht.

Der Soziologe Dieter Goldschmidt mahnte, man möge doch aus dem europaweiten Protest gegen die »großen Einheiten« lernen und von der Eigenständigkeit der beiden Partner »so wenig wie möglich aufgeben«. Stolpe versicherte, er wolle seinen Brandenburgern die Identität sichern. Vielleicht müsse man ihnen im gemeinsamen Land ein »Vetorecht« einräumen. Auf jeden Fall müßten sie einer Fusion per Volksentscheid zustimmen. Lehnten sie ab, werde man andere Wege der Zusammenarbeit suchen, etwa einen »Kooperationsrat« mit Kompetenzen »über beide Länder hinweg«.

So deutlich äußerten sich Hassemer und Bergmann nicht. Reich verließ die Debatte so zweifelnd, wie er gekommen war. Auch Heiner Müller, der sich und seinen Akademie- Kollegen Walter Jens als »Vereinigungsdilettanten« eingeführt hatte, blieb Vereinigungsskeptiker. Für die furchtsamen Brandenburger erfand er eine konkrete »Utopie«: »Berlin, ein Sumpf bei Potsdam«. hmt