DAS MULTIKULTURELLE LEBEN IN DEUTSCHLAND

Lobgesang auf das Ghetto

Berlin (taz) — Viele Deutsche, mit denen ich mich über das multikulturelle Leben in Deutschland unterhalte, meinen, daß die Ghettos — wenn sie Ghettos meinen, dann meinen sie die türkischen — das Zusammenrücken erschweren, ja gar verhindern. Das stimmt nicht. Die Ghettos sind das einzige, das uns, also die Türken, mit den Deutschen verbindet. Beide Kulturen entwickeln sich in den türkischen Ghettos sicherer.

Die Ghettos haben inzwischen einen musealen Wert, wie der Stadtteil Kreuzberg in Berlin beweist. Man macht mit der ganzen Schulklasse seine Safarifahrt dahin, schaut sich alles umsonst an, trifft auch Eingeborene aus der Türkei und bekommt manchmal sogar einen Tee angeboten. Es wird sogar schon gemunkelt, daß deutsche Oberbürgermeister mit der türkischen Botschaft heimlich Kontakt aufgenommen haben, um aus ihren verfallenen Stadtteilen Freilichtmuseen zu machen.

Die Ghettos tragen also zur deutschen Kultur bei. Der Bauchtanz zum Beispiel, den die Deutschen geschmacklos und unverschämterweise bis gestern als Schautanz bezeichnet haben, ist ein Symbol der deutschen Liberalität geworden. Und der deutsche Bauchtanz hat seinen Ursprung nicht in Istanbul, sondern in den Ghettos. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Bauchtanz in Deutschland und dem Bauchtanz in der Türkei. Der deutsche Bauchtanz ist nicht mehr folkloristisch wie in der Türkei, auch nicht mehr nur ein Tanz aus dem Bauch, sondern ein Identifikationsfaktor des mittleren deutschen Geistes, ein Weg auf der Suche nach der Emanzipation der deutschen Frau, ein Mittel der Völkerverständigung, die Brücke zwischen den Sprachlosigkeiten. Ohne zu übertreiben, muß ich sagen, daß viele deutsche Frauen durch diesen Tanz zu ihrer Selbstverwirklichung gelangt sind.

Der Bauchtanz wirkt gleichzeitig anticholesteral, nicht nur für die Tanzende, sondern auch für den Zuschauer. Er ist modern und zeitgemäß — im Gegensatz zum Ballett. Wieviel Prozent der deutschen Frauen können Ballett machen mit ihrem unerwünschten Gewicht? Der Bauchtanz paßt zur fressenden deutschen Gesellschaft genau. Das Ballett ist distanziert, kalt, setzt bestimmte Räumlichkeiten voraus. Der Bauchtanz dagegen ist warm, kommunikativ, bringt gute Laune. Das Ballett erfordert jahrelange Erziehung und Übung. Um Bauchtanz machen zu können, braucht man einigermaßen Busen und Bauch. Das Ballett verursacht Arbeitslosigkeit, denn jede Tänzerin ab dreißig ist beim Ballett verbraucht. Der Bauchtanz dagegen schafft Arbeitsplätze: Viele deutsche Studentinnen und Hausfrauen werden mangels ausländischer Tänzerinnen von den türkischen Lokalbesitzern engagiert.

Die Ghettos schützen und pflegen die Demokratie in Deutschland. Ohne die Ghettos wäre der zweite Demokratieversuch der Deutschen wie in der Weimarer Zeit in die Hose gegangen. Die Demokratie verlangt Offenheit, Geduld, Akzeptanz, die Ghettos auch. Die Demokratie schreibt die Verständigung der Parteien vor, die Ghettos auch. Die Ghettos sind das einzige Mittel, das das Aussterben der deutschen Demokraten verhindert. Gleichzeitig verhindern die Ghettos den Untergang des christlichen Glaubens. Jeder gute Christ, der einmal in einem der Ghettos gewesen ist und dort die Moschee und das Minarett gesehen hat, kehrt freiwillig und schnell wieder zu seiner Kirche zurück. Natürlich plagt ihn manchmal das schlechte Gewissen, ob er, als Christ, mitansehen kann, daß die Moslems immer den Längeren haben. In Pforzheim zum Beispiel haben die katholische und evangelische Gemeinde mit der moslemischen vereinbart, daß das Minarett nicht höher gebaut werden darf als die Türme der beiden Kirchen.

Die Feindseligkeit den Ghettos gegenüber kommt meistens von den Faschingsvereinen, weil die Türken in den Ghettos fasten, ohne vorher Fasching gefeiert zu haben. Wenn die Türken fasten, dann essen sie nix, aber gar nix. Dadurch verursachen sie der deutschen Volkswirtschaft jährlich eine halbe Milliarde Mark Verlust. Das Ghetto an sich ist ein in sich geschlossener Arbeitgeberverband, dessen Arbeitnehmer meist die deutschen Akademiker sind. Wie viele Sozialpäpdagogen, Soziologen, Politologen werden indirekt vom Ghetto finanziert oder ideel unterstützt? Sinasi Dikmen