Ohne Bein kein Möller

Bundestrainer Berti Vogts über das EM-Vorbereitungsspiel gegen die Türkei voller Unmut/ Dem Gegner zuviel freien Raum gelassen/ Trotzdem soll der Weltmeister auch Europameister werden  ■ Aus Gelsenkirchen Thomas Lötz

Gegen Bundestrainer Hans-Hubert Vogts läßt sich manches Argument vorbringen. Beispielsweise kann man ihm vorhalten, daß er nach Ablauf seiner Spielerkarriere die Kalorientabelle nur noch auf den Kopf gestellt hat, daß er sich zudem frei-mütig zu seiner Musical-Leidenschaft bekennt und daß er, der niederrheinische Provinzler, eben einfach ein langweiliger, ausdrucksarmer Pragmatiker ist. Das alles unterscheidet ihn von seinem Vorgänger, dem seligen Franz Beckenbauer, der immer noch so viel wiegt wie 1966, der Pavarotti jedem Starlight-Express vorzieht, der in Deutschland als Weltmann gilt, weil er im österreichischen Kitzbühl residiert und ein nonchalanter Schwätzer ist. Nicht zuletzt führte er Deutschland 1990 zum Weltmeistertitel. Weltmeister kann Berti frühestens in zwei Jahren werden, aber Vogts großer Vorteil gegenüber Beckenbauer besteht bereits heute darin, daß er, und das ist sicher Ausfluß seines grundsätzlichen Pragmatismus, zur Analyse fähig ist. Während der Kaiser sich immer eher hellseherisch betätigte, als er zum Beispiel nach dem WM-Gewinn den Unsinn über die Unschlagbarkeit eines wiedervereinigten Fußball- Deutschlands von sich gab oder einfach weise sprach: „Jo, jo, der Ef- fen-berg...“ und dabei noch weiser das Haupt von rechts nach links wiegte, redet Vogts Klartext. So äußerte der Aufklärer Vogts nach dem Vollzug des EM-Vorbereitungsspiels gegen die Türken in Gelsenkirchen seinen Unmut. Mit dem alles andere als glanzvollen Spiel seiner Mannschaft sei er ganz und gar nicht zufrieden gewesen. Vor allem die Leistung des Mittelfeldes, mit der Ausnahme Thomas Häßler („großes Spiel“), kritisierte er scharf. Dort hätte man dem Gegner zu viel freie Räume angeboten, und das würde international aufs brutalste bestraft. Das Umschalten von Verteidigung in Angriff habe so gut wie garnicht funktioniert. Weil den von Vogts gelobten Häßler dieses Urteil nicht betraf, ließ es sich allein auf Matthias Sammer und Andreas Möller beziehen.

Tatsächlich konnten beide ihrer jeweiligen Aufgabe nicht gerecht werden. Sammer kam mit der sogenannten Matthäus-Rolle kaum einmal zurecht. Statt das Spiel aus der Defensive nach vorne zu strukturieren, versteckte er sich allzu oft, lief in Positionen hinein, in denen er nur schlecht anzuspielen war. Allein sein Einsatz in Zweikämpfen und ein oder zwei Aktionen in der Offensive ließen erkennen, daß er die Erwartungen, die Vogts und Fußball-Deutschland in ihn setzen, vielleicht doch noch wird erfüllen können. Inter Mailand indes braucht sich über die Verpflichtung des Stuttgarters nicht zu ärgern, denn Vogts gab zu, daß Sammer ungewohnt defensiv eingesetzt worden sei.

Juventus Turin hingegen muß sich angesichts der Leistung von Andreas Möller Gedanken machen. Bekanntermaßen kommt es zur Offenbarung der Stärken des 24jährigen, wenn ihm das Spiel Szenen im freien Raum bietet, in denen er seine überragende Antrittsschnelligkeit und Ballführung entwickeln kann. Diesen Aktionen geht in der Regel ein in den Fuß gespielter Paß voraus. Bei Eintracht Frankfurt versah diese Arbeit zumeist Uwe Bein. Am Samstag blieben die Pässe Sammers auf halbem Wege liegen oder in der türkischen Abwehr hängen. Häßler spielte häufig auf der anderen Seite, und diejenigen Bälle, die Möller dennoch erlief, mit denen wußte er nichts anzufangen. Wohl verärgert über diese Tatsache, vernachlässigte er seine Defensivaufgaben eklatant. Vogts: „Auch Andreas Möller muß sich in die Räume zurückfallen lassen.“ Dies zu lernen, bleibt Möller noch ein bißchen Zeit, und auch der Rest der Mannschaft kann sich morgen noch ein weiteres nettes Trainingsspiel gegen den Schottland-Simulanten Nordirland gönnen, denn erst dann wird an Beweglichkeit, Antrittsschnelligkeit und all dem anderen gearbeitet, das den Jungs bei der EM nicht fehlen soll. Bis zum 12.Juni wird unsere nationale Auswahl ihren vielgepriesenen Turnier- Spirit dann wohl endlich gefunden haben, denn, so Vogts im ungewohnten Beckenbauer-Jargon: „Wir wollen, daß der Weltmeister auch Europameister wird.“

Türkei: Hayrettin (Galatasaray Istanbul), Bülent (Galatasaray Istanbul), Ogün (Trabzonspor), Tugay (Galatasaray Istanbul), Orhan (Trabzonspor), Riza (Besiktas Istanbul), Ünal (Tabzonspor), 83. Serhat (Ankaragücü), Recep (Besiktas Istanbul), 83. Aykut Fenerbahce Istanbul), Mehmet (Besiktas Istanbul) 58. Oguz (Fenerbahce Istanbul), Hakan (Bursaspor), Hami (Trabzonspor)

Zuschauer: 55.000

Tor: 1:0 Völler

Deutschland: Köpke (1.FC Nürnberg), Binz (Eintracht Frankfurt), Kohler (Juventus Turin), Buchwald (VfB Stuttgart), Wörns (Bayer Leverkusen), 46. Effenberg (Bayern München), Möller (Eintracht Frankfurt), Sammer (VfBStuttgart), DDR), Häßler (AS Rom), Brehme (Inter Mailand), Völler (AS Rom), Klinsmann (Inter Mailand), 58. Thom (Bayer Leverkusen)