INTERVIEW
: Auswandern oder bleiben?

■ Hugo Wormsbacher, Vizepräsident der „Union der Deutschen in der GUS“, über die aktuellen Auseinandersetzungen unter den Rußlanddeutschen und über die Vertreibung von Russen und Deutschen aus Mittelasien

Am Sonntag ging in Moskau der erste Kongreß der „Union der Deutschen in der GUS“ zu Ende. Die Organisation hatte sich im Frühjahr von der rußlanddeutschen „Allunionsgesellschaft Wiedergeburt“ abgespalten. Während diese von der russischen Regierung ultimativ die Wiederherstellung der nach der bolschewistischen Revolution gegründeten und von Stalin 1941 aufgelösten Wolgarepublik fordert und andernfalls die Rußlanddeutschen zur Massenauswanderung bewegen will, setzt sich die „Union“ für den Aufbau von autonomen Kreisen an der Wolga und in Sibirien ein. Am Freitag und Samstag besuchte der für Aussiedlungsfragen zuständige Parlamentarische Staatssekretär Horst Waffenschmidt deutsche Siedlungsgebiete an der Wolga.

taz: Vor einem Jahr entstand die „Union der Deutschen in der UdSSR“ als Konkurrenzorganisation aus den Reihen der „Allunionsgesellschaft-Wiedergeburt“. Hat sich der Bruch seither noch vertieft? Hat er die Interessenvertretung erschwert oder eher belebt?

Hugo Wormsbacher: Die Gegensätze sind die alten geblieben. Wir wollen den Rußlanddeutschen einen Platz hier im Lande oder in den Nachfolgestaaten der UdSSR sichern. Kulturelle Autonomie, Sprachpflege ist nicht alles. Im Gegensatz zur „Wiedergeburt“ versteifen wir uns aber nicht allein auf die Wiedererrichtung der Wolgarepublik. Uns geht es um die Wiederherstellung nationaler Autonomie auf Kreis- oder Bezirksebene. Im Altai-Gebiet und in Omsk sind die ersten beiden deutschen Rayons (Kreise) vor kurzem geschaffen worden. Die „Wiedergeburt“ begreift den Konflikt mit uns als eine Machtfrage. Je mehr deutsche Interessenvertretungen desto breiter ihr Einfluß — sollte man annehmen. Doch sie will im Namen aller reden.

Wie viele zählen Sie zu den „Ihren“?

Gehen wir davon aus, nicht zwei Millionen, wie die Volkszählung ergab, sondern vier Millionen sind ihren Papieren nach Deutsche. Da viele in Mischehen leben, kommen wir mit deren Kindern auf über sechs Millionen. Spricht die „Wiedergeburt“ von 700.000 Ausreiseanträgen, die neunzig Prozent der Rußlanddeutschen repräsentieren sollen, stimmt die Rechnung einfach nicht. Es sind etwa zehn Prozent. Die anderen müssen, selbst wenn sie von der Existenz unseres Verbandes nichts gehört haben, ein Interesse an der Verbesserung ihres Status im Lande haben.

Dieser Kongreß hat sich zum Ziel gesetzt, außer abstrakte Forderungen zu stellen, auch konkrete Projekte auf den Weg zu bringen. Wie steht's damit?

Die Veranstaltungen der letzten Jahre befaßten sich fast ausschließlich mit der Auswanderung. Überall in Deutschland und in der ehemaligen Sowjetunion entstand der Eindruck, es gebe nur Rußlanddeutsche, die endgültig wegwollten. Das entspricht einfach nicht der Realität. Die Auswanderung ist erzwungen, weil sich die Lebensbedingungen der Deutschen so gut wie nicht verbessert haben. Die 500 Delegierten unseres Kongresses aus allen Siedlungsgebieten haben deutlich gemacht, daß ein Großteil der Deutschen gar nicht ausreisen möchte. Sie wollen hier etwas für ihre Leute machen. Jede Delegation stellt ihre konkreten Projekte vor. Im Omsker Rayon gibt es seit über 50 Jahren erstmals wieder eine deutsche Schule. Woanders wurden deutsche Kindergartengruppen zusammengestellt. Der Austausch und das gemeinsame Vorgehen ist für uns außerordentlich wichtig. Zumal wir heute von Regierungsseite nur wenig erwarten können. Die russische Regierung hat gemacht, was sie konnte. Sie hat einen Ukas erlassen und ein Gesetz über die Rehabilitierung der unterdrückten Völker verabschiedet. Nach diesem Gesetz müßte die Wolgarepublik wiederhergestellt werden. Fast alles hängt davon ab, was wir selbst machen.

Welche Konsequenzen brachte der Zerfall der UdSSR für die Rußlanddeutschen mit sich?

Der Zerstreuung über das Land folgte der Unionszerfall. Heute müssen wir uns direkt an die Leitung Kasachstans, der Ukraine oder Kirgistans wenden. Für sie ist das völlig neu. Von unserer Seite verlangt das eine Menge Fingerspitzengefühl. Melden wir uns als Verband aus Moskau, reagieren sie häufig sehr empfindlich.

Von welchem der GUS-Staaten läßt sich sagen, er bemühe sich um die Klärung der deutschen Belange?

Kirgistan hat sich bereit erklärt, zwei deutsche Kreise zu errichten. Im riesigen Kasachstan ist man noch lange nicht soweit. Auch die Ukraine hat ja 400.000 Deutsche zu sich eingeladen und die Gründung einiger deutscher Rayons vorgeschlagen. Wir müssen allerdings abwarten, wie ernst diese Absichten gemeint sind. Denn Einladungen haben uns aus fast allen Staaten erreicht. Aber man lädt uns eben als gute Arbeiter ein. Wir wollen aber nicht nur arbeiten, sondern auch Deutsche bleiben.

Ist Königsberg noch im Gespräch?

Zweifelsohne, Königsberg ist ein starker Anziehungspunkt für die Rußlanddeutschen. So einfach ist es aber nicht, denn die Probleme sind die gleichen wie überall. Vielen fehlt das Geld, um dort eine neue Existenz aufzubauen.

Russen und Deutsche sitzen in den GUS-Staaten plötzlich im selben Boot. Sie gehören zu nicht umschwärmten Minderheiten. Schweißt so etwas nicht zusammen?

Das Problem ist sehr kompliziert für die Russen. Wie wir werden auch sie aus Mittelasien vertrieben. Unser Verband muß dringend etwas unternehmen. Dabei spielt die Nationalität vielleicht gar nicht mehr die maßgebliche Rolle, sondern es gilt schlichtweg, die Menschen zu retten. In Usbekistan und Tadschikistan kommt zur nationalen noch eine soziale Dimension hinzu: fehlende Arbeitsplätze. Im Baltikum leben nur noch wenige Deutsche, doch die wenigen mußten sich in letzter Zeit auch dort wie Fremde fühlen. Das ist traurig.

Werden Sie in Ihren Anstrengungen ausreichend von seiten der Bundesregierung unterstützt, oder gibt es da Klagen?

Die Politik Deutschlands ist sehr nüchtern. Man findet ein offenes Ohr für unsere Prinzipien, und wir können nur dankbar sein für die Hilfe und moralische Unterstützung, die uns zuteil wird. Natürlich ist das Materielle nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber so lange es keine Sicherheiten gibt, macht es keinen Sinn, mehr zu investieren. Dennoch zeigt sich, daß Hilfe aus Deutschland nicht fehlen wird, sobald konkrete Projekte vorliegen. Wir müssen den Leuten wieder Hoffnung geben. Gelingt das im nächsten halben Jahr nicht, entschließen sich noch mehr zur Ausreise. Jelzins Äußerung vom Januar in Saratow, eine Wolgarepublik werde es nicht geben, hatte verheerende Folgen. Wir waren empört und verzweifelt. Bis heute begreifen wir nicht, wie ein Präsident eines multinationalen Staates derartiges sagen kann.

Klappt die Zusammenarbeit mit der russischen Regierung?

Unsere Vorschläge werden meist aufgegriffen, an dem Rehabilitierungsgesetz haben wir auch mitgewirkt. Man kann jedoch nicht sagen, die Kooperation wäre sehr effektiv. Das hängt jedoch nicht allein von der Regierung ab, die sich in äußerst schwieriger Lage befindet. Man kann sie daher manchmal verstehen. Andere Dinge drücken sie mehr. Da wird unser Problem eher nebensächlich und gelangt gar nicht erst auf die Tagesordnung. Interview: Klaus-Helge Donath