„Völkisch geprägt?“

■ Jahresversammlung der Gesellschaft für bedrohte Völker/ Gesunde Finanzen, aber heftige Kritik von außen

Hann.-Münden (taz) — Der einsame Flugblattverteiler auf dem historischen Marktplatz von Hannoversch-Münden ließ nicht locker. Den Passanten, die am Samstag vormittag eisschleckend durch die Fußgängerzone des Weserstädtchens schlenderten und nur wenig Lust auf politische Lektüre verspürten, stopfte der junge Mann die Zettel in Einkaufskörbe oder Kinderwagen.

Alle sollten mitbekommen, wer auf Einladung des Bürgermeisters in der Gemeinde zu Gast war: die „Gesellschaft für bedrohte Völker“, GfbV. Eine Menschenrechtsorganisation, so die anonymen FlugblattschreiberInnen, deren politisches Konzept „rein völkisch“ geprägt sei und in deren Bundesvorstand sich „Rechtsradikale“ tummelten. Eine Gruppierung, die von der Unteilbarkeit der Menschenrechte fasele, gleichzeitig aber zu Völkermord und Unterdrückung in Palästina, Südafrika und El Salvador schweige.

Die interne Kritik, wenige hundert Meter weiter im Rittersaal des Mündener Welfenschlosses, fiel verhaltener aus. Nur einige der rund 150 Delegierten auf der GfbV-Jahreshauptversammlung äußerten in privaten Gesprächen leisen Unmut über „eigenmächtige Entscheidungen“ des Vorstandes. So sei der 1991 vollzogene Austritt der Gesellschaft aus dem Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) nicht mit den Regionalgruppen abgestimmt gewesen.

Tilman Zülch, der mit großer Mehrheit wiedergewählte Bundesvorsitzende, räumte hier ein „Versagen“ des Vorstandes und „Strukturprobleme“ innerhalb der GfbV ein. Inhaltlich verteidigte er die Entscheidung aber damit, daß im BUKO auch Initiativen mitarbeiteten, die „Unmenschlichkeiten“ und Menschenrechtsverletzungen durch vermeintlich sozialistische Regimes totgeschwiegen oder toleriert hätten.

Abgesehen davon herrschte auf dem Kongreß eitel Sonnenschein. Anlaß zur Freude gab schon der Bericht der Kassenprüfer: Allein die 5.500 Mitglieder, der höchste Stand seit Gründung der GfbV vor 22 Jahren, zahlten im zurückliegenden Jahr knapp 700.000 Mark in die GfbV- Kasse ein. Dazu konnten mehr als eine Million Mark Spenden, Erlöse aus dem Buch- und Materialvertrieb, Bußgelder und Zuschüsse zu ABM- Maßnahmen verbucht werden. „Alles in allem“, so Professor Gernot Wießner vom Beirat der Gesellschaft, sei diese erfreuliche Entwicklung „auch zukünftig Garant für eine politisch und finanziell unabhängige Menschenrechtsarbeit“.

Die politische Bilanz für 1991 und 1992 kann sich nach Meinung der Gesellschaft ebenfalls sehen lassen. Öffentlichkeitswirksame Höhepunkte waren Hilfstransporte für die Kurden im Irak, die Atlantik-Überquerung der GfbVler Rüdiger Nehberg und Christina Haverkamp in einem Bambusfloß zu Beginn des „Kolumbus-Jahres“ sowie der Aufruf zum Tourismusboykott gegen die Türkei wegen der Massaker an der kurdischen Zivilbevölkerung.

Weniger spektakulär war das Anprangern von Menschenrechtsverletzungen in anderen von Bürgerkriegen und politischer Verfolgung geprägten Regionen. Einen dieser „vergessenen Konflikte“ schilderte David Lomeling aus dem Sudan. Die aktuelle Lage in dem afrikanischen Land sei „dramatisch“. Wenn sich die Weltöffentlichkeit nicht bald dieses Dramas annehme, „erleben wir eine der größten Katastrophen dieses Jahrhunderts“.

In einem von der GfbV-Versammlung gebilligten Arbeitsplan werden unter anderem die Ausweitung der Kampagne für die Kurden, Aktionen zum internationalen Jahr indigener Völker, Initiativen für staatenlose Roma in Deutschland sowie ein „Europäischer Nationalitätenkongreß“ im Frühjahr 1993 genannt. Gerade die letztgenannte Aktion dürfte wieder für Kontroversen sorgen. Zu den 200 eingeladenen Nationalitäten und Minderheiten zählen nämlich auch Südtiroler, Wolgadeutsche und die im deutsch- polnischen Grenzgebiet um Bautzen beheimateten Sorben. Veranstaltet wird der Kongreß in „Preßburg“. Beweis genug für die „völkische Gesinnung“ der Gesellschaft für bedrohte Völker? Reimar Paul