„Es war überall sehr schön“

■ Wandersmann und ehemaliger Bundespräsident Karl Carstens im Alter von 77 Jahren gestorben

Berlin (taz) — Bevor Karl Carstens Bundespräsident wurde, diskutierte die Republik über seine NSDAP-Mitgliedschaft. Er selbst, der promovierte Jurist, diskutierte nicht. Er erklärte sich zum „Mitläufer“ und erinnerte sich auch „nur dunkel“ an jene Kriegsgerichtsverfahren, in denen er Beisitzer war. Das vor allem, daß wieder ein Alter wenig wissen und nicht reden wollte, das brachte die Jungen gegen Carstens auf. Globke, Lübke, Kiesinger, gerade erst Filbinger und nun Carstens: „Sie als Repräsentant der Bundesrepublik wären der Gipfel der Nazi-Verdrängungskünste, die dieses Volk in den letzten drei Jahrzehnten sich und der darob staunenden Welt vorgeführt hat“, schrieb der 25 Jahre junge 'Spiegel‘-Redakteur Klaus Pokatzky an den 64jährigen Kandidaten.

Für Helmut Kohl ist mit Karl Carstens, der in der Nacht zum Samstag in seinem Haus in Meckenheim bei Bonn starb, „eine der prägenden Gestalten der Bundesrepublik Deutschland von uns gegangen“. Carstens amtierte drei Jahre als Bundestagspräsident, bevor er im Mai 1979 zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Seine Kandidatur war auch im Ausland kritisiert worden, in der BRD hatten sich zwei Drittel der Bevölkerung gegen ihn ausgesprochen. Der Amtsantritt des Konservativen führte aber nicht zu dem Rechtsruck, den viele befürchtet hatten, da er sein Amt— im Gegensatz zu seiner Zeit als CDU-Oppositionsführer im Bundestag — recht zurückhaltend ausübte. „Würde“, „Bescheidenheit“ und „Stil“, mit diesen Begriffen charakterisierten Björn Engholm und Hans-Ulrich Klose am Wochenende Carstens' Amtszeit als fünftes Staatsoberhaupt.

Herzliches Gelächter im Hohen Haus provozierte Carstens jedoch, als er ankündigte, er werde in den kommenden fünf Jahren mit seiner Veronika die Republik durchwandern, „in Etappen natürlich“. Gestört hatte sich das Oberhaupt an Berichten „über die Umweltsituation“, die nahelegten, „daß Deutschland eine einzige Müllhalde wäre“. Nach 1.500 Kilometern von Nord nach Süd mit einer wachsenden Schar von WanderfreundInnen glaubte der Präsident den Gegenbeweis erbracht zu haben: „Es war überall sehr schön.“

Als schwierigster Akt seiner Amtszeit erschien Carstens die Auflösung des Bundestags, die er nach dem Mißtrauensvotum gegen die Regierung Schmidt im Januar 1983 verfügte und damit Kohls und Genschers „Wende“ ermöglichte.

Karl Carstens, der in Bremen geboren wurde, arbeitete zunächst als Anwalt und lehrte an der Kölner Uni Staats- und Völkerrecht. Seine politische Karriere begann er im Auswärtigen Amt. 1972 wurde er in den Bundestag gewählt. Carstens wurde 77 Jahre alt, am Donnerstag wird für ihn in Bonn ein Staatsakt stattfinden. bm