Üble Nachreden

■ Resümierende Anmerkungen zu den Publikumsgesprächen auf dem Theatertreffen 92

Zwei Wochen lang geisterte ein Gerücht durchs Spiegelzelt und ließ die professionellen Insider säuerliche Miene zeigen: es gebe keine Höhepunkte auf dem diesjährigen Theatertreffen. Was mit einer Hommage an einen gerade verstorbenen Regisseur begann (Hans Lietzau mit seiner Inszenierung des Blauen Boll von den Münchner Kammerspielen) endete vergangenen Sonntag mit einem Jury-Gespräch, auf dem dann plötzlich das Wort vom »Arbeitstreffen« die Runde machte und zu einem konsensfähigen Begriff der Insider avancierte; das Publikum — bloß noch als Zaungast dabei?

Arbeitstreffen, das heißt, auf den Glamour der bekannten Namen und Festivalverwöhnten zu verzichten, die Flimms und Dorns und Peymanns in ihren beheimateten Kunstschlössern zu belassen und die neuen, jungen Kräfte zur Diskussion zu stellen ( was natürlich nur teilweise durchgeführt wurde). Allerdings waren es gerade die Diskussionen mit dem Publikum — traditionell im Spiegelzelt hinter der Volksbühne abgehalten —, die auch in diesem Jahr wieder so ziemlich das Uneffektivste am ganzen Treffen waren.

Die übliche Gereiztheit auf beiden Seiten zeigte vor allem eines: die Hilflosigkeit im Umgang miteinander, eine Hilflosigkeit, die sich, wie in der Diskussion mit Ruth Berghaus (nach ihrer abseptischen Brechtinterpretation von Dickicht der Städte), bis zur peinlichen Sturheit hochmauern konnte. Da ist dann im Grunde kein Reden mehr möglich, Verletzungen werden abgebogen — und geraten dabei voll ins Rampenlicht. Das Ringen um Verständnis gerät zur nachgereichten Farce.

Weise Psychologie? Die Fachleute des Humanen, diese »professionellen Menschen«, wie George Tabori (Goldberg Variationen, Wien) die Theaterleute einmal nannte, finden ihre Maßstäbe des Miteinanders offensichtlich allein im eingefahrenen Probenprozeß der großen Musentempel — Maßstäbe, die zu versagen scheinen, wenn sie aus dem Ästhetenraum in die banale Wirklichkeit entlassen werden.

Die Sprachlosigkeit des Publikums: nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen. Besonders in direkter Folge auf den Theaterbesuch sind fehlende Worte auch ein Zeichen für die emotionale Nachwirkung, eine Tugend. Der Versuch, sich trotzdem in die Rede zu stürzen, wirkt dann entweder banal oder von ganz weit hergeholt.

Intellektualität kriegt am schnellsten die Kurve — und verzerrt das Bild zur Gänze. Trifft sie in einem Regisseur wie dem jungen Matthias Hartmann (Emilia Galotti, Hannover) auf eloquenten Widerhall, gerät das Gespräch allzu leicht zum theaterwissenschaftlichen Kolloquium, das sich mit »name dropping« und schlauer Redefinte präsentiert, und nebenbei noch die autoritäre Struktur am Theater hemmungslos widerspiegelt: in den Momenten, wo eben nur der Regisseur redet und den um persönliche Worte ringenden Schauspielern kräftig souffliert.

Die Nachreden im Spiegelzelt sind ein liebes Kind des Theatertreffens, ein Kind, das nicht erwachsen werden will: Jedes Jahr gibt es die gleichen pubertären Anwandlungen zu bestaunen. Erscheckend, wie schwerfällig Kommunikation sich winden kann. Der Zuschauer, aus dem anonymen Dunkel gerissen, findet die passenden Worte selten, und der verschwitzte Schauspieler ist nach seiner Arbeit abgekämpft und nur sehr bedingt der Kritik seiner Zuschauer aussetzbar.

Wie institutionalisiert das Theater auch sein mag, der Schritt vor die Tür gelingt nur mühsam und mit viel mentaler Rückendeckung. Da helfen auch keine Dramaturgen, die entweder die Sprachlosigkeit oder, wie im Falle von Jürgen Gosch (Endspiel, Bochum), deren Abwesenheit kompensieren müssen. Man hofft leise für sich, daß die Gespräche der Macher untereinander bei diesem Arbeitstreffen ergiebiger und unverstellter vor sich gehen. Zweifel bleiben allerdings. Es ist eben schwer, das rechte Wort zu finden, soll Kunst, die geschieht und in der Zeit verfliegt, durch Rationalität haltbar gemacht werden.

Statt die Teilnehmer auf die Schiene des »Find' ich gut« und »Find' ich schlecht« zu schicken, sollten die Organisatoren über Formen und Foren nachdenken, in denen sich die Beteiligten auf dem Hintergrund ihrer Arbeit austauschen und inhaltlich gebunden diskutieren (und hemmungslose Ambition sich ohne Druck und unverklausuliert artikulieren könnte; die Jury-Diskussion am Ende kam da viel zu spät). Vielleicht könnte dann mitunter die Nachrede aufs Vergangene zur Vorrede aufs Kommende werden. Soviel Utopie sollte man sich ruhig gönnen. baal