Gipfelstürmerei mit Glitter, Klunker, Dirndl, Fummel, Federn

■ Der »Berliner Gipfel«: »Volkstümliches« Travestietheater für Kind, Kegel und Oma im Theater im Keller

Zugegeben, sie haben mich eingewickelt. Ich bin ihnen total auf den Leim gegangen, weil ihre Substanz aus Charme, Humor, Ehrlichkeit und einer deftigen Portion Selbstironie unwiderstehlich ist. Sie — das sind ein Hotelfachmann in Ausbildung, ein Doktorand der Chemie, ein spätzündender Schüler, der abends die Bank drückt, um seine Reife mit einem Zeugnis bestätigt zu bekommen, und ein Schauspieler, der nach dreitausend Auftritten in Sartres ehrbarer Dirne und diversen anderen öffentlich-rechtlichen Theaterversuchen diesem den Rücken kehrte.

Freitag und samstags abends steigen die vier im Theater im Keller ab — und ab da sind eher weibliche Bezeichnungen angebracht. Mit Glitter, Klunker, Dirndl, Fummel, Federn und (teilweise) ausgestattet mit einer ansehlichen Busenattrappe bringen sie Berlin auf den Gipfel. Na ja, »Berlin« vielleicht nicht ganz, aber doch ihren Kiez in Neukölln. In ihrer »volkstümlichen Travestieshow«, so der Untertitel, betreiben sie mit Maria und Margot Hellwig oder Gitte und Erika im Off eine gnadenlose Gipfelstürmerei, die die Damen im Publikum kreischen, die Herren poltern und alle schunkeln läßt.

Ausverkauft. Restlos. Wie immer. Und ich bin als Mittzwanzigerin das Küken im Publikum. Ein seltsames Theater — Die auf der Bühne wollen kein Schwulenprogramm machen, sondern eines für die ganze Familie, für Kind, Kegel und auch die Oma. Die Travestie ist auf der Bühne von der Qualität des professionellen Hüftschwungs, dekoriert mit einem koketten Augenaufschlag unter silbrig-blauen Lidern — und sie lockt das FAB in das winzige Theater, die professionellen Travestiekünstler und auch ein paar Lesben. Aber das sind eigentlich die Ausnahmen, denn im Publikum sitzen zumeist tatsächlich die Neuköllner Nachbarn gestandenen Alters, die »die von der Trapistenshow« morgens beim Bäcker begrüßen. Ein paar Verirrte aus dem Osten haben auch hergefunden und, wie immer, die beiden Hausbesetzerinnen, von denen die eine (mitten in ihren Siebzigern) die Haus- und Theaterfotografin ist. Sie alle haben mit Schwulen vielleicht soviel zu tun, wie ich ansonsten mit Schuhplattlern und Jodlern. Aber wenn das Dirndl flattert, die Damen auf der Bühne zwinkern und blinkern (oder sich eifersüchtig und zickig aus dem Rampenlicht drängen), erliegen wir hingerissen ihrem Spiel und sind blind für die Schwächen der Lippensynchronisation. Ach was, wenn Theaterleiter Michael Brennecke mit einem treudoofen Grinsen (das frappierend an Günther Pfitzmann in seinen besten Momenten erinnert — aber dafür kann Brennecke ja nichts) und Plüschkuh-Hausschuhen den Leberknödelsuppen-Rock trampelt und Mathias Zisenis zusammen mit Manolito Kramm als Gitte und Erika über die Bühne stöckelt, kommen die Besucher in Wallung. Aber der Gipfel ist noch nicht erreicht. Zitterlippe Nana Mouskouri (Jürgen Balk) ist eine unvergeßliche und immer wieder starke Zwischensteigung — aber auch noch nicht das Ziel. Nein. Nach der Pause geht es erst steil bergan. Travestieerfahrungen von fünf Jahren schimmern durch. Weil aber der Alpensong in diesen preußischen Gefilden die Leute bestimmt nicht bei der Stange halten würde und der Blick auf die angrenzenden Länder mit zunehmenden Höhenmetern auch besser wird, sehen wir eine stockbesoffene Edith Piaf (mit nacktem Lover hinter dem Rollo-Vorhang) und sogar »Sucu, Sucu«-Lys Assia aus Brasilien, dekogerecht mit Obstschale auf dem Kopf und Silberlametta-Haarpracht — eine von Manolito Kramm selbst entworfene und geschneiderte Wucht.

Und wie's halt so ist, ist die Vorfreude die beste Freude (und der Titel der Show bestimmt nicht zufällig zweideutig), der Gipfel also folglich schon mitten im zweiten Teil erreicht. Shmachtende Blicke unter der blonden Perücke triefen ins Publikum, Mathias Zisenis rotiert die Hüften zu Big Spender, daß es eigentlich ein Wunder ist, daß sie/er die Balance auf den Stöckeln hält (aber er hat sein Metier ja gelernt). Küss' die Hand, gnä' Frau, meine Verehrung.

Als die vier auf der Bühne ihre Haare lassen und das Kurzhaargeheimnis lüften, dämmert mir, was die wichtigste Zutat dieser Show ist: die ehrliche Liebe zum eigenen, kleinen Theater. Die Show ist gelaufen, die Schminke nur noch blaß, zum Abschied Küßchen unter den Schauspielern und 'ne Pizza beim Italiener nebenan. Damit lassen sich auch nächtliche Wadenkrämpfe von den Stöckelschuhen ertragen. Petra Brändle

Berliner Gipfel Fr./Sa., 20 Uhr, noch bis Oktober