Sentimentale Konstruktionen

■ Jenseits der modischen Trends: Jakob Mattner in der Galerie Franck + Schulte

Der 1946 in Lübeck geborene Jakob Mattner gilt in der Kunstwelt als Einzelgänger, der sich um bestehende Trends und Moden wenig kümmert. Seine Lichtskulpturen, Zeichnungen und Reliefs knüpfen eher an den Expressionismus, den russischen Konstruktivismus der zwanziger und die Lichtkunst der fünfziger Jahre an als an Gegenwärtiges.

Dennoch wirken seine Werke keineswegs antiquiert. Wie in der Mode, wo es immer wieder Revivals vergangener Jahrzehnte gibt, kann es auch in der Kunst gelingen, durch einen bestimmten Kniff alte Formen für die Gegenwart wiederzubeleben. Auch der Füllfederhalter wird in klassischem und modernem Design weiter benutzt und nicht endgültig durch den Personalcomputer ersetzt.

Der künstlerische Schwerpunkt Mattners liegt sicherlich in seinen Lichtskulpturen. »Kopf«, »Keil« und »Splitter« heißen sie, bestehen aus geometrisch geformten, an der Wand befestigten Glasscheiben, die mit Scheinwerfern angestrahlt werden. Indem das Glas sowohl Licht reflektiert als auch Schatten an die Wand wirft, entsteht eine schwarz- weiße expressive Lichtzeichnung.

Eine ältere, bei Franck + Schulte ausgestellte, Arbeit kann durch genialische und entwaffnende Einfachheit als programmatisch gelten. Das unlimitierte Auflagenobjekt Herz von 1983 besteht einfach aus einem gläsernen Bogensegment, das senkrecht zur Wandfläche befestigt ist. Der durch einen Spot angestrahlte Bogen wirft auf seiner einen Seite einen schwarzen Schlagschatten, auf der anderen Seite reflektiert er das weiße Licht auf die Wand. Licht- und Schattenform schließen sich an den Ansatzpunkten des Bogens auf der Wand zusammen und formen so das Ornament eines Herzens.

Der Kontrast von rationaler Konstruktion und sentimentaler Semantik, gepaart mit nostalgischem Charme, bestimmt auch das übrige Werk Jakob Mattners.

Die Serie Objektive Porträts von 1988, in der Ausstellung vertreten durch insgesamt neun 30 x 43 cm große hochformatige Wandreliefs in verglastem Holzrahmen, zitiert das rationale Design konstruktivistischer Zeichnungen der zwanziger Jahre. Die Porträts bestehen aus einer teilweise rußgeschwärzten Glasscheibe, aus der ein Oval ausgeschnitten und verkantet wieder aufgesetzt ist. Das Oval als konstruktivistische Grundform des Kopfes evoziert im Zusammenklang der Farbe des schwarzen Glases und der teilweise sichtbaren, braun gemaserten Holzrückwand nicht nur Erinnerungen an abstrakte Papiercollagen, sondern auch an die Melancholie der Figurinen de Chiros.

Der Titel der Serie verschmilzt die Gegenstandsassoziation mit dem objektivistischen Impetus des Konstruktivismus und weist darüber hinaus auf ein weiteres konstituives Element im Werk Mattners hin: das Kameraobjektiv. Die Auseinandersetzung mit dem Bild produzierenden Apparat bietet die Serie von zwanzig expressionistischen schwarzweißen Zeichnungen mit dem Titel Wie die Bilder die Camera sehen. In ihnen spreizt sich eine altertümliche Stativbalgenkamera, von einem flächigen Schlagschatten hinterfangen, wie ein lebendiges Wesen fächerförmig über das Blatt.

Gruppiert sind die Zeichnungen um eine Skulptur Mattners von 1987, dem »Paar« zweier rußgeschwärzter Stativkameras. Der anthropomorphe Bezug und die vagen sexuellen Konnotationen dieser Werkgruppe laden das vordergründig kühl konzipierte Werk mit Emotionalität auf. Durch die im Titel angesprochene Umkehrung der Blickrichtung wird es als leidenschaftliche Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer objektiven künstlerischen Bildfindung in Konkurrenz zu ihrer technischen Konstruktion lesbar.

Dieses Verhältnis läßt sich auf Mattners Haltung zum Konstruktivismus selbst übertragen. Die rein formale Rückwendung und Weiterführung konstruktivistischer Formensprache kritisiert sich selbst und wird dadurch ambivalent. Mattner schafft sich sein eigenes »Zwielicht«, in dem er seine Kunst gebiert. Ein gekonnter Kniff, der die alten Formen in die Postmoderne überführt. Werner Köhler

Bis zum 5.6., Mo.-Fr. 11-18, Sa. 10-14 Uhr, Galerie Franck + Schulte, Mommsenstraße 56, Charlottenburg