INTERVIEW
: »High-Tech-Medizin überstieg reale Möglichkeiten«

■ Ellis Huber über die Bedeutung von Transplantationen für die DDR und die der Horrormeldungen für die gesamtdeutsche Bevölkerung

Bei Organentnahmen und -transplantationen in der Charité gab es »tatsächlich nachweisbare Unregelmäßigkeiten«. Zumindest teilweise sind die im vergangenen Herbst in die Schlagzeilen geratenen dubiosen Praktiken bei Organspenden jetzt von einer Ärztekommission bestätigt worden. Nach den Erkenntnissen der Kommission, die von der Berliner Gesundheits- und der Wissenschaftsverwaltung einberufen worden war, wurden Schwerstkranke aus weit entfernten DDR-Bezirken quer durch die Republik in die Charité transportiert, obwohl es nähergelegene Universitätskliniken gegeben hätte. Anlaß für die Verlegung sei nicht das Interesse des Patienten, sondern das Anliegen der Organspende gewesen. »In einigen Fällen führte ein fachlich begründeter Übereifer bei der Nutzen-Risiko-Abwägung zu Ergebnissen, die nicht nur aus heutiger Sicht unverständlich sind« heißt es. Nicht bestätigt wurden hingegen Meldungen aus der Boulevardpresse, nach denen auch noch lebenden Patienten Organe entnommen worden seien. Organbanken habe es ebensowenig gegeben wie Organhandel. Auch Anhaltspunkte dafür, daß die Stasi in »patientenbezogene Entscheidungen« eingegriffen hätte, gehen aus dem Bericht der Kommission nicht hervor. Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) zeigte sich nach der Veröffentlichung »ausgesprochen betroffen«. Die taz sprach mit dem Präsidenten der Berliner Ärztekammer, Dr. Ellis Huber, über den Bericht der Kommission.

taz: Herr Huber, haben Sie die Ergebnisse erleichtert oder erschrocken?

Ellis Huber:Weder noch. Der Bericht hat im wesentlichen Bekanntes bestätigt, insbesondere, daß es Unregelmäßigkeiten gab bei Transporten von Provinzkrankenhäusern in die Charité. Nicht bestätigt haben sich die Horrormeldungen der Boulevardpresse über Machenschaften im Bereich der Organtransplantationen. Es war aber immer klar, daß dergleichen technisch unmöglich ist und die Berichte anderen Zielen als dem der Aufklärung der Öffentlichkeit über Realitäten in der ehemaligen DDR dienten.

Es gab immer wieder Stimmen, die mutmaßten, mit dieser Kampagne solle die Charité politisch in Grund und Boden gestampft werden.

Das ist mit Sicherheit falsch. Bedenklich ist natürlich, daß eine Zeitung wie 'Super‘ große Auflagen gerade in Ostdeutschland erzielt und 'Bild‘ da nachziehen muß. Dies hängt nach meiner Überzeugung damit zusammen, daß die ostdeutsche Bevölkerung einen Dämonisierungsprozeß ihrer ehemaligen Herren vollzieht, um vor sich selbst erklären zu können, warum sie sich von den Tattergreisen so lange regieren ließ. Man ist willens, Horrormeldungen über das alte Regime gern zu lesen. Gleichzeitig findet dieser Stoff auch im Westen sehr viel Anklang, weil der böse Kommunist wieder restauriert werden muß. Auch hier gibt es ein Abgrenzungsvakuum.

Verteidiger der Charité haben angeführt, daß ein derartiger Umgang mit Transplantationsorganen auch in den alten Ländern vorkommt.

Was dort gelaufen ist, kann in Westdeutschland nicht mehr passieren. Diese Konflikte hatten wir zur Frühzeit der Organtransplantationen Anfang der 70er Jahre. Inzwischen sind die Verhältnisse eindeutig geregelt. Außerdem haben wir es in der Charité mit typischen Konflikten einer Medizin in der Diktatur zu tun — mit dem Konflikt des Arztes, Anwalt des Patienten zu sein oder Funktionär einer staatlichen Ideologie und Exekutor staatlicher Selbstdarstellung. Der DDR-Staat hatte das Bedürfnis einer internationalen Selbstdarstellung auch im Bereich von High-Tech-Medizin, die seine realen Möglichkeiten weit überstiegen.

Was steht nach der Veröffentlichung der Ergebnisse in der Charité an?

Die personellen Konsequenzen sind weitgehend bereits vollzogen. Es geht auch nicht um individuelle Schuldzuweisung, sondern um grundlegende Haltungen und Einstellungen; um die Gefahren einer Medizin in der Diktatur.

Die Charité steht aber immer noch im Schatten ihrer Geschichte.

Wenn die Ärzte an der Charité beginnende Mißbräuche noch zu Zeiten des alten Regimes abgestellt haben, und das haben sie, dann ist dies das Fundament dafür, daß so etwas nicht mehr vorkommen kann und wird. Die Charité unterscheidet sich nicht mehr von Universitätskliniken in Westdeutschland. Wir als Ärztekammer sind jetzt noch für die standesrechtliche Seite zuständig, müssen Öffentlichkeitsarbeit leisten und uns als Ärzte mit ethischen Fragen auseinandersetzen. Diese Fragen sind wichtiger als rein rechtliche. Interview: Jeannette Goddar