Deutsche Identität — Was ist das?

■ In der Clay-Oberschule in Rudow haben Schüler eine Deutschlandfahne aufgehängt/ Enttäuschung darüber, daß mit den Lehrern keine Diskussion über die Identität Deutscher zustande kommt

Neukölln. »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein« — kann man das einfach so sagen, oder ist man dann rechtsextrem oder nationalistisch oder sonst irgendwie untragbar? Wenn Beate Ninuw, 17, Schülerin in der 11 E der Clay-Oberschule in Rudow, versuchte, eine Antwort auf diese Fragen zu finden, hieß es bei den Lehrern: »Dazu haben wir keine Zeit.« Etwa im November des vergangenen Jahres hatte ein Schüler der 11 E, Sascha Steuer, 17, einziges Mitglied der Jungen Union in der Klasse, dann die Idee, die Deutschland- und die Europafahne im Klassenzimmer aufzuhängen. Die Lehrer waren darüber nur wenig erfreut.

Gestern lieferte die 'Morgenpost‘ einen Artikel über die Fahnen unter der Überschrift »Deutsche Fahne im Klassenraum stürzt Schule in Glaubenskrieg«, was Schulleiter Detlef Schikorr einigermaßen entsetzt hat: »Die Sache ist lange erledigt. Wir haben darauf hingewiesen, daß die deutsche Fahne Mißverständnisse auslösen könnte, und uns mit der Klasse darauf geeinigt, daß die Fahnen hängen bleiben können, wenn die Klasse in ihrem Raum Unterricht hat, und abgenommen werden muß, wenn andere Klassen dort unterrichtet werden.« Also keine Probleme?

»Es wird zwar nicht mehr drüber geredet, aber ein Problem ist es immer noch«, meint ein Schüler der 11E. Der Vorschlag Steuers, Fahnen in der Klasse aufzuhängen, stieß zunächst auf wenig Interesse. Den meisten war es »ziemlich egal«. Die Reaktionen der Lehrer schweißten die Klasse schnell zusammen. Genaues kann niemand sagen, aber es gab »Gerüchte«: Lehrer hätten in anderen Klassen behauptet, die 11E sei rechtsradikal. Eine Lehrerin habe gar die Befürchtung geäußert, bald hinge da noch eine Hakenkreuzfahne. »Da haben wir uns gesagt, jetzt halten wir zusammen.« Eine Abstimmung in der Klasse ergab, daß bis auf einen alle Schüler die Fahnen hängen lassen wollten.

Für die Schüler ist es eine Frage der Identität. Beate erzählt von einem Schüleraustausch in Frankreich, als sie in der neunten Klasse war. »Da kam ein französischer Schüler auf mich zu, streckte den Arm aus und sagte: ‘Sieg Heil‚.« Beate fragte sich, ob das alles ist, was deutsche Identität ausmacht. »Und daß wir nach dem Krieg alles wieder aufgebaut haben, ist das nichts?«.

Daß Angehörige anderer Völker ein anderes Verhältnis zu ihrer Nationalität haben, erfahren die Schüler der 11E täglich. In der Rudower Schule sind etwa 25 Prozent der Schüler Ausländer. »Ein Iraker hat eine irakische Flagge auf seiner Tasche. Was wohl los wäre, wenn ich so was mache?« sinniert düster ein Schüler. Ein halbes Jahr vor ihnen hängte eine neunte Klasse in ihrem Raum eine deutsche und eine türkische Flagge auf. Kein Lehrer protestierte.

Das Problem sind nicht die Fahnen und auch nicht, daß Ausländer sich diskriminiert fühlen. Die beiden einzigen Ausländer in der Klasse, der 17jährige Türke Ender Özcelik und die 17jährige Polin Dorota Szczepanska finden es in Ordnung, daß die Deutschland- und Europafahnen in ihrer Klasse hängen. Das Problem ist, das bis jetzt kein Lehrer sich bereitgefunden hat, über die Fahnen und die deutsche Identität zu diskutieren. »Wir haben ein paarmal versucht, es anzusprechen, aber es gab kaum eine Diskussion. Ein paar Bemerkungen und dann hieß es: Wir müssen jetzt mit dem Unterricht weitermachen.« Im Geschichtsunterricht steht gerade das Thema ‘Nationalismus‚ auf dem Lehrplan. Anja Seeliger