Nicht nur für Rio-Fahrer

Die Menschheit ist über ihre ökologischen Tragfähigkeiten hinausgeschossen  ■ VON MICHAEL HOFMANN

Wer sich um glaubwürdige Antworten bemüht, was sich in Rio zu umweltverträglicher Weltentwicklung beitragen ließe, sollte in seinen Reden erst einmal Wachstum klein schreiben. Hatte doch bereits vor zwei Jahrzehnten die Meadows-Studie des Club of Rome auf die „Grenzen des Wachstums“ hingewiesen. Immerhin war das Buch ein Bestseller, der damals auch in Politik und Wirtschaft Nachdenklichkeit bewirkte, zumal der erste Erdölpreisschock die finanziellen Grenzen exzessiven Energieverbrauchs offenbarte. Angesichts wachsender Arbeitslosigkeit erschien es den Krisenmanagern jedoch vorrangig, die „engines of growth“ wieder auf volle Touren zu bringen. Im nachfolgenden Jahrzehnt weltwirtschaftlicher Voodoo-Theorien wurde Dennis Meadows weitgehend vergessen.

Doch Meadows hat sich rechtzeitig vor Rio in Erinnerung gerufen, was seine mit neuen Daten gefütterten Computer ausgespuckt haben: eine wahrhaft erschreckende Abrechnung des Wachstumseifers der siebziger und achtziger Jahre. Danach befinden wir uns längst jenseits der Wachstumsgrenzen. Steil ansteigende Kurven zeigen, daß die Menschheit über ökologische Tragfähigkeiten hinausgeschossen ist — und sich rasch in Richtung auf einen globalen Kollaps zubewegt.

Hoffnungslosigkeit ist gleichwohl nicht die Botschaft der neuen Meadows-Studie, vielmehr die notwendige Einsicht in Kehrtwendungen, vor allem bei den ökonomischen und sozialen Verhaltensmustern. Mit nachvollziehbaren Argumenten und durch Fallbeispiele wird der gängige Wunderglaube an die Technik und die Magie der Marktkräfte so schwer erschüttert, daß als Ausweg aus der Sackgasse blinder Wachstumslogik nur umweltbewußte Selbstbeschränkung bleibt. Das heißt nicht freudlose Askese, meint vielmehr eine Neubewertung von Lebensqualität in den Wohlstandsregionen, die endlich (und bereitwillig) materielle und geistige Ressourcen teilen sollten.

Obwohl das Lied vom Teilen vielerorts ungern gehört wird, müssen die westlichen Industriestaaten und Japan nolens volens die Melodie erlernen, zudem schleunigst auch den Textgehalt begreifen. Vornehmlich in quantitativer Hinsicht Wachstumsverzicht üben, damit im Osten— beginnend bei den ostdeutschen Bundesländern bis jenseits der Grenzen der Mangelwirtschaften Osteuropas — und darüber hinaus endlich im Süden den Entwicklungsländern Wachstumsspielräume eröffnet werden, die sie angesichts des raschen Bevölkerungszuwachses dringend brauchen.

Wem die Überlebensprobleme des Südens mittlerweile aus dem Blickfeld geraten sind, dem sei der Rio-Beitrag von Shridath Ramphal zur Lektüre empfohlen. Was sich hinter dem nüchternen Buchtitel Das Umweltprotokoll verbirgt, ist ein inhaltlich und sprachlich brillantes Plädoyer für eine partnerschaftliche Weltgesellschaft.

Sonny Ramphal ist freilich nicht blauäugig: Als langjähriger Generalsekretär des Commonwealth kennt er die harten Nord-Süd-Gegensätze. Als Mitglied der Brandt- und der Brundtland-Kommission weiß er aber auch um die ökologische Notwendigkeit und die politischen Möglichkeiten zum globalen Dialog für gemeinsames Handeln.

Naiv, wer noch glaubt, intakte Umwelt gäbe es gratis und Entwicklung sei kostenlos zu haben. Mit kruden Rezepturen à la IWF wird man den Menschen sicherlich nicht gerecht, da die Entwicklungsbedingungen auf der Welt von Land zu Land bekanntlich höchst unterschiedlich sind. Nachdem die großen Entwicklungstheorien hier wie dort in Sackgassen geführt haben, ist zumindest die deutsche Entwicklungsländerforschung bescheidener geworden. Daß neue Nachdenklichkeit bereits zu differenzierten Sichtweisen geführt hat, wird im gerade erschienenen Handbuch der Dritten Welt eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Professoren Nuscheler und Nohlen haben es sich wahrlich nicht leichtgemacht, sich vielmehr als Herausgeber und Mitautoren alle Mühe gegeben, die Vielschichtigkeit der Entwicklungsprobleme aufzuzeigen. Wer sich als Leser seinerseits der Mühe unterzieht, dieses Einführungsbuch, dem sechs Regionalbände folgen werden, zu studieren, wird anschließend zweimal nachfragen, wenn ihm zum hier wie überall schwierigen Strukturwandel einfache Lösungen präsentiert werden.

Nach den Jahrzehnten der kleinen Teilerfolge und großen Fehlentwicklungen sind vermutlich alle klüger geworden. Neue Einsichten sind freilich keine Gewähr gegen neue Irrtümer. Allerdings wäre es fatal, wenn die Angst vor neuen Fehlleistungen dazu führte, besser gar nichts zu tun. Angesichts von Hunger und Elend, von Kriegen und Flüchtlingsströmen ist Nichtstun zynisch und überdies im Wissen um die globalen Umweltgefahren schlechterdings unvernünftig.

Donella und Dennis Meadows und Jorgen Randers: Die neuen Grenzen des Wachstums. DVA 1992, 28DM

Das Umweltprotokoll. Ullstein Sachbuch, erscheint erst Ende Juli auf dem deutschen Markt, dann allerdings um ein Ergebniskapitel der Rio-Konferenz ergänzt

Handbuch der Dritten Welt. Hrsg. von Dieter Nohlen und Franz Nuscheler, Dietz-Verlag 1992, 48DM

Der Autor ist Berater von Willy Brandt für Nord- Süd-Fragen.