ANC stellt Regierung Ultimatum

Kongreß am Wochenende/ Interimsregierung gefordert/ Drohungen mit Massenaktionen  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) hat der südafrikanischen Regierung am Wochenende ein Ultimatum gestellt: Wenn die Regierung in den Verhandlungen über eine neue Verfassung nicht bis Ende Juni nachgibt, will der ANC mit „nie dagewesenen Massenaktionen“ seine Forderungen durchsetzen. Die Drohung ist ein Zeichen für die Militanz unter den 800 Delegierten bei einer ANC- Konferenz in Johannesburg am Wochenende. „Wenn die Regierung nicht zur Kooperation bereit ist, dann muß sie sich auf Aufruhr vorbereiten“, sagte ANC-Präsident Nelson Mandela auf dem Treffen.

Mit der Entscheidung der Versammlung, notfalls auf die Straße zu gehen, zieht der ANC die Konsequenz aus dem Scheitern der zweiten Vollversammlung des „Konvents für ein demokratisches Südafrika“ (Codesa) vor zwei Wochen. Dort hatten die Regierung und der ANC sich nicht darauf einigen können, mit welchen Mehrheiten eine neue, demokratische Verfassung von einer gewählten verfassunggebenden Versammlung verabschiedet werden soll. Die Regierung hatte eine sehr große Mehrheit gefordert, offenbar, um der weißen Minderheit ein Veto einzuräumen.

„Die Regierung hat den Verhandlungsprozeß bei Codesa in eine Krise gestürzt und einen Konfrontationskurs mit der Bevölkerung eingeschlagen“, sagte ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa am Wochenende. Jetzt werde der ANC die Regierung mit Massenaktionen zur Aufgabe der Macht zwingen.

Ziel der Aktionen sind neben der Einsetzung einer Interimsregierung unter Beteiligung aller Parteien auch die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung vor Ende des Jahres. Der ANC drängt auch auf die Freilassung aller politischen Gefangenen — die Regierung behauptet, es gäbe keine politischen Häftlinge mehr. Demonstrationen sollen auch dazu führen, daß Rahmenbedingungen für eine demokratische Wahl geschaffen werden; dazu gehört beispielsweise die unabhängige Kontrolle der elektronischen Medien.

Geplant werden neben den Massendemonstrationen auch Streiks und Besetzungsaktionen. „Es wird ununterbrochene Massenaktionen geben“, warnte Ramaphosa. „Ziel ist es, die Vorherrschaft der Minderheit auszurotten.“ Südafrikas Präsident Frederick De Klerk, der sich zur Zeit auf Staatsbesuch in Rußland und Japan befindet, sagte vor seiner Abreise, daß die geplanten Aktionen keinen Beitrag zum Verhandlungsprozeß leisten würden. Aber er glaube dennoch, daß dieser erfolgreich sein werde.

Mandela griff De Klerk am Sonntag erneut scharf wegen der politischen Gewalt an, die seit 1984 etwa 14.000 Menschenleben gefordert hat. „De Klerk ist selbst verantwortlich für die Ereignisse in diesem Land“, sagte Mandela bei einem Besuch in Phola Park, einer Slumsiedlung von ANC-Anhängern östlich von Johannesburg, in der wiederholt schwere Zusammenstöße mit Anhängern der Zulupartei Inkatha stattgefunden haben. Mandela warf den Sicherheitskräften vor, die Gewalt zu schüren. Und der ANC-Chef warnte: „Die Menschen werden sehr wütend. Früher oder später wird diese Gewalt alle Teile der Bevölkerung erfassen. Sie wird auch Weiße erfassen.“

Damit setzte Mandela den Streit über die Ursachen der Gewalt fort. Letzte Woche hatte die Regierung aus dem Bericht einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Gewalt zitiert, um ihren Vorwurf zu belegen, daß Kämpfe zwischen ANC und Inkatha Grundlage der Gewalt seien. Aber Richter Richard Goldstone, Vorsitzender der Kommission, kritisierte am Montag die selektive Auslegung seines Berichtes. Tatsächlich wirft die Kommission auch den Sicherheitskräften Beteiligung an der Gewalt vor. Als zentraler Grund wird das Apartheidsystem und jahrzehntelange Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung ausgemacht.