Serbien: 12 Liter Benzin pro Auto

In „Neu-Jugoslawien“ werden die ersten Auswirkungen der UNO-Sanktionen spürbar/ Bei den Wahlen in Serbien und Montenegro beteiligen sich trotz der Boykottaufrufe 60 Prozent der Bevölkerung  ■ Von Roland Hofwiler

Budapest (taz) — Die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Serbien und Montenegro liegen noch nicht vor — doch schon läßt sich Serbiens Präsident Slobodan Milosevic als Sieger feiern. Er und seine ehemals kommunistische, heute „Sozialistische Partei“, haben dazu aber auch allen Grund: Trotz des Krieges in Bosnien, trotz des Wahlboykotts aller Oppositionsparteien, trotz der Demonstrationsaufrufe gegen die „neokommunistischer Herrschaft und Kriegstreiberei“ (so Oppositionschef Draskovic) lief das Wahlvolk am Sonntag zu den Urnen, um Milosevics Politik das Vertrauen auszusprechen. So betrug die Wahlbeteiligung in Orten wie Damilovgrad, Andrijasevci oder Niksic bis zu 80 Prozent, in kleinen Ortschaften wurde dieser überraschend hohe Prozentsatz sogar noch übertroffen. Zumindest behaupteten dies gestern die elektronischen Medien, die fest in den Händen des Regimes sind.

Aber auch in Belgrad, wo oppositionelle Zeitschriften noch Verbreitung finden und sich innerhalb der Intelligenz eine breite Ablehnungsfront gegen das Regime bildete, lag die Wahlbeteiligung anscheinend noch immer annähernd bei 50 Prozent, sollen die Sozialisten auch hier gegen die wenigen „unabhängigen“ Kandidaten eine Zweidrittelmehrheit erzielt haben. Konsequent boykottiert wurde die Wahl nur in den Minderheitenregionen. Die zwei Millionen Kosovo-Albaner blieben dem Urnengang fern, die 500.000 Muslimanen des Sandzak ebenso wie die Mehrzahl der 350.000 Vojvodiner Ungarn. Doch diese Volksgruppen werden von eigenen nationalen Parteien vertreten und nicht von der serbischen Opposition, die sich vor allem gegenüber den albanischen Autonomiebestrebungen reserviert bis feindlich verhält und so indirekt Milosevics minderheitenfeindliche Politik unterstützt.

Die Schwäche der Opposition zeigte sich auch am Sonntag, als 50.000 Menschen in den Straßen Belgrads gegen Milosevic demonstrierten. Beeindruckend war der Manifestationszug nur durch die einfaltsreichen Plakate, dem Trauerschmuck für die „unschuldigen Toten aller Völker“, den eindringlichen Reden und Protestsongs. Doch in der Geschichte Belgrads war dies bei weitem nicht die größte Manifestation. Vor zwei Jahren, noch vor Ausbruch der Kriege in Slowenien und Kroatien, demonstrierten Hunderttausende tagelang gegen den „Neokommunisten“ Milosevic und für eine „Demokratisierung der Gesellschaft“. Seitdem sank der Lebensstandard bei einer Inflationsrate von 800 Prozent um Zwei Drittel, das durchschnittliche Monatseinkommen auf unter hundert Mark.

Milosevic gibt sich selbstsicher. Aus seinem Umkreis hieß es gestern, Serbien habe einen „dauerhaften Waffenstillstand“ für Bosnien und die kroatische Küstenstadt Dubrovnik ausgearbeitet und werde „für seine Einhaltung alle friedlichen Mittel einsetzen“. Gleichzeitig werde man der Welt zeigen, daß man Serbien nicht die Schuld für die Entwicklungen in Bosnien zuschreiben könne. Beschwichtigend äußerte sich Milosevic über die Handelssanktionen der UNO, diese hätten noch nie eine große Wirkung gezeigt, Serbien habe noch immer Freunde in der Welt.

Doch diesem Standardsatz des serbischen Präsidenten schenken immer weniger Landsleute Glauben. So konnte selbst „Radio Beograd“ gestern nicht verschweigen, daß überall im Lande der Einzelhandel zusammengebrochen ist. Der Grund: Mit Hamsterkäufen decken sich die Menschen mit allem ein, was in den Läden noch zu haben ist. Und dies wird immer weniger.

Kilometerlange Schlangen bildeten sich auch vor den Tankstellen. Diese gaben pro Auto nur noch zwölf Liter Treibstoff ab.

Doch der Präsident zeigte sich gestern auch „großzügig“: Per Dekret bestimmte er, daß Männer zwischen 18 und 55 Jahren nun wieder ohne Einschränkungen ins Ausland reisen dürfen. In den letzten Monaten war dafür eine Erlaubnis der Wehrkreisbehörden notwendig, die diese jedoch nicht ausstellten, es galt eine informelle Generalmobilmachung. Ob diese nun wirklich aufgehoben wurde, wird sich erst noch zeigen müssen. Ein Satz des Freischärlerführers Vojislav Seselj, der sich in den letzten Wochen als neuer Sprecher der Milosevic-Regierung profilierte, gibt nämlich zu denken: „Jeder, der die Wahl am Sonntag für unser neues Jugoslawien boykottierte ist ein Staatsfeind und gehört eigentlich unseres Landes verwiesen. Denn solche Elemente braucht man nicht. Wir wollen ein Land der wahren Patrioten, die sich keinem Diktat der Welt beugen.“