Das Ende der Unbesiegbarkeit

Bilanzstunde der japanischen Autoindustrie offenbart unerwartete Krise/ Rezession, hohe Arbeitskosten und verfehlte Modellpolitik bescheren Toyota und Nissan gewaltige Gewinneinbrüche  ■ Aus Tokio Georg Blume

Was bisher weder dem Automobil- Diplomaten George Bush noch den Konkurrenten General Motors oder Mercedes-Benz gelang, vollbrachte die nüchterne Botschaft der Bilanzen: Über Nacht verlor Japans Autoindustrie den Mythos ihrer Unbesiegbarkeit. Galten die Toyotas und Nissans noch bis gestern als unschlagbar, legen die sinkenden Gewinne und falschen Investitionen eine Krise der Branche offen, die niemand für möglich gehalten hatte.

„Schwierigkeiten ohne Ende“, titelte Japans führende Wirtschaftszeitung 'Nihon Keizai‘, nachdem gleich sieben der neun japanischen Autohersteller Ende letzter Woche ihre Ergebnisse für das Geschäftsjahr 1991 bekanntgaben. Die Muttergesellschaften aller japanischen Autohersteller mit Ausnahme von Mitsubishi mußten im letzten Jahr zweistellige Gewinnrückgänge hinnehmen. So sanken die Profite bei Toyota um 34, bei Nissan um 54 Prozent. Seit Mitte der achtziger Jahre war das nicht mehr vorgekommen. „Die Verkürzung der Überstunden“, sinnierte der Chef des Kleinwagenherstellers Suzuki, Osamu Suzuki, „hat dazu geführt, daß die Verbraucher mit weniger Einkommen auch weniger Autos kaufen.“

In den letzten Jahren hatten sich die Japaner schon daran gewöhnt, einen schier unaufhaltsamen Reigen immer neuer Luxuskarossen auf ihren Straßen zu sehen. Nach den großen Verkaufserfolgen von Mercedes und BMW hatten auch bei Toyota und Nissan die Superschlitten ihre kleineren Vorfahren abgelöst. Doch als die zwei führenden japanischen Hersteller zur Tokioter Motorshow im vergangenen Herbst erneut neue Modellreihen für die Luxusklasse vorstellten, geschah genau das, was nicht geschehen durfte: Die Aufsteigerwagen fanden keine Käufer mehr. Ausgerechnet die neueste und modernste aller Produktionsstätten, das kürzlich eröffnete Tahara-Werk für Toyotas Topmodelle, fährt heute nur noch eine statt drei Schichten. Der Verkauf teurer Autos, gestand auch Nissan-Vizechef Atsushi Muramatsu am Wochenende, komme nur „sehr langsam“ voran.

Das Eingeständnis offenbart, daß die japanischen Autohersteller genau dort von der Rezession getroffen werden, wo sie in den letzten Jahren ihre größten Anstrengungen konzentrierten — nämlich beim Aufstieg in die Oberklasse. Toyota und Nissan wollten mit den deutschen Nobelmarken gleichziehen und sie sogar verdrängen. Heute erzwingen die Absatzrückgänge, daß dies etwas länger dauern wird — auch wenn die japanischen Hersteller aufgrund ihrer höheren Effizienz am Erreichen ihres Ziels nach wie vor keine Zweifel haben.

Vorerst aber muß die japanische Autoindustrie tief durchatmen. So wollen alle Hersteller im laufenden Geschäftsjahr ihre Investitionen um durchschnittlich zehn Prozent senken. Toyota setzt dabei mit einer Investitionskürzung über 23 Prozent auf 5,54 Milliarden Mark ein Beispiel. Diese im internationalen Vergleich freilich immer noch beispielhafte Investitionssumme will der Branchenführer nun über die nächsten fünf Jahre auf gleichem Niveau halten.

Der größte Verlierer auf dem japanischen Markt ist Nissan. Im letzten Geschäftsjahr erwirtschaftete die Nummer zwei einen mageren Gewinn von 1,1 Milliarden Mark, der sich in diesem Jahr nochmals halbieren dürfte. Damit das Unternehmen nicht in die roten Zahlen läuft, mußte bereits Aktien- und Landbesitz in der Höhe von rund einer Milliarde Mark verkauft werden.

Immer häufiger lamentieren die japanischen Autohersteller wie ihre deutschen Konkurrenten über die hohen Arbeitskosten. Tatsächlich nahm dieser Posten bei Nissan 1991 allein um 126 Millionen Mark zu. Grund dafür ist, im Gegensatz zu Deutschland, der anhaltende Arbeitskräftemangel und nicht etwa ein großzügiger Tarifabschluß. Verständlich ist deshalb auch, weshalb alle Hersteller bei den Ausgaben für Rationalisierungsmaßnahmen bisher nicht sparen. „Die Rationalisierung ist ein unendliches Thema“, meint der Vizechef von Mitsubishi- Motors, Bunji Date, „deshalb gibt es hier keine bewußten Kürzungen.“ Doch Branchenkenner wollen bei anhaltend schlechter Wirtschaftslage nicht ausschließen, daß die Firmen bald auch in den „heiligen“ Bereichen Forschung und Entwicklung zum Sparen gezwungen werden.

Zu den hohen Arbeitskosten und einer verfehlten Modellpolitik addiert sich noch eine dritte Last, die Nippons Autobauern den Erfolg verwehrt: Sie besteht aus den in Brüssel und Washington verfügten Importbeschränkungen. Allein im laufenden Geschäftsjahr müssen die japanischen Hersteller ihre Exporte in die USA und in die EG um jeweils 80.000 Wagen zurückschrauben. Lieferungen in andere Regionen können solche Einbrüche nur geringfügig wettmachen, so daß Toyota für 1992 mit einem Exportrückgang um 3,1 Prozent rechnet. Für Unternehmen, die bislang gewohnt waren, bei nachlassender Binnennachfrage ihre Verluste im Auslandsgeschäft aufzufangen, liegt darin eine geradezu revolutionäre Herausforderung.

So hat die unerwartete Krise der japanischen Autoindustrie alle Merkmale eines längerfristigen Einbruchs. Nur eines läßt sich damit beim besten Willen nicht sagen: daß nämlich die deutsche oder amerikanische Konkurrenz nun besser sei. Viele der Probleme bei Toyota und Nissan sind hausgemacht — aber sie treffen die japanischen Autobauer in einem Entwicklungsstadium, das die deutschen Hersteller erst noch erreichen müssen.