Von Düsseldorf ins Wilde Kurdistan

NRW-Innenminister Schnoor unterstützt die „kluge Politik“ der irakischen Kurden/ Türkische Presse bauscht Beschlagnahme von Hilfsgütern zu Waffenskandal auf/ Lob für alliierten Schutz  ■ Von Walter Jakobs

Mit einem gewöhnlichen Grenzformular hat das zerknitterte Stück Papier vom „High Committee of Kurdistan Front“ gewiß nichts zu tun. Dennoch, ein Stempel muß sein, auch an diesem ungewöhnlichen Ort, der ansonsten kaum bürokratische Regeln kennt. Ein Raum weiter lärmt eine verrostete Maschine, die man zwischen den bunten Gestalten am allerwenigsten vermutet hätte: Hier wird elektrisch Geld gezählt. Das Gerät spuckt ordentlich gebündelte Banknoten aus, irakische Dinar, die in großen Plastiksäcken landen.

Was geht hier vor? Ein Mann lacht die staunenden Besucher an: „This is the first National Bank of Kurdistan.“ Tatsächlich stapeln sich in dem zwölf Quadratmeter großen Raum fast die gesamten Tageseinnahmen des „befreiten Kurdistan“. Das Geld stammt von LKW-Fahrern, die jeden Tag Hunderte von Lastwagen über die Grenze in die Türkei steuern. Seit dem Ende des Golfkrieges hat sich unter den Augen der kurdisch-türkischen Grenzschützer ein blühender Benzinschmuggel entwickelt. In großen Zusatztanks transportieren die Trucks, die vor allem Lebensmittel in den Irak bringen, auf ihrer Rückreise Sprit aus der irakisch kontrollierten Stadt Mossul. Abgeschöpft werden die Fahrer auf beiden Seiten der Grenze. Trotzdem lohnt sich der Handel, denn in der Türkei wird das spottbillig eingekaufte Benzin für ein Vielfaches verhökert. Daß das Geschäft schon lange geht, kann man sehen und riechen. Der aus überfüllten Tanks tropfende Sprit hat das an die Asphaltstraßen grenzende Erdreich auf beiden Seiten der Grenze kilometerweit verseucht.

Während die Geldzählmaschine in der etwa zwölf Kilometer von der Grenzstadt Zakho gelegenen kurdischen Zollstation am vergangenen Dienstag immer wieder mit neuen Dinar gefüttert wird, sitzt der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor (SPD) in einem Zollbüro auf der türkischen Seite. Ihm gegenüber ein Oberstleutnant, der ein paar Tage zuvor die Beschlagnahme einer LKW-Ladung aus NRW verfügt hatte. Als versuchter Waffenschmuggel machte der Vorgang auf den ersten Seiten der türkischen Zeitungen Karriere. Von deutschen Stahlhelmen und Lafetten für Flugabwehrgeschütze schlagzeilten die Blätter. Tatsächlich entpuppten sich die Stahlhelme als Fellmützen der ehemaligen DDR-Volkspolizei, die noch das Emblem der Vopo trugen. Und bei den „Lafetten“ handelte es sich um Abschleppachsen für liegengebliebene LKW.

Das alles gehörte zu einem 40 Lastwagen umfassenden Konvoi, den 89 Polizeibeamte vom westfälischen Unna aus über 4.600 anstrengende Kilometer mit Billigung des Sanktionsausschusses der Vereinten Nationen bis zur türkischen Grenze kutschiert hatten. Bei den Lastern handelte es sich um ausrangierte Fahrzeuge der ehemaligen Volkspolizei in Brandenburg, die dort mit Werkzeugen, Ersatzteilen und anderen Hilfsgütern bepackt worden waren. Darunter auch zwei Tarnnetze der NVA, die von einem gedankenlosen Brandenburger Polizisten offenbar gleich mit aufgeladen wurden. Schnoors Entschuldigung „für diese Nachlässigkeit“ vermochte an der Beschlagnahme der Abschleppachsen indes nichts zu ändern. Weil nach Ansicht der Türken die Achsen „durch technische Änderungen“ auch für nichtzivile Zwecke genutzt werden könnten, „einigte“ man sich nach vierstündigen Gesprächen auf die „freiwillige Überlassung“.

So begann die für Schnoor „ungewöhnlichste Reise während meiner Politikerzeit“. Vom türkischen Diyarbakir hatte ein amerikanischer Militärhubschrauber den 65jährigen Minister in die kurdische Grenzstadt Zakho gebracht. Dort sitzt das „Military Coordinationen Center“ (MCC), ein Verbindungskommando der alliierten Staaten, die im Augenblick im Auftrag der UN den Schutz der irakischen Kurden wahrnehmen.

Begleitet von rund 70 Peschmerga, zumeist junge Burschen, die mit ihren Maschinengewehren und Panzerfäusten auf offenen Pritschenwagen mitfuhren, reiste Schnoor vier Tage lang im Geländewagen durch den nördlichen Teil des befreiten Kurdistan. Nach dem nervenden Streit mit den türkischen Nato- Freunden hatte der Düsseldorfer Gast, der einer Einladung des Führers der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP), Massud Barzani, gefolgt war, im irakischen Kurdistan „schon fast das Gefühl, zu Hause zu sein“. Der herzliche Empfang von Tausenden von Menschen in Zakho und an anderen Reisestationen war gewiß von der KDP organisiert, aber es war mehr als gut inszeniertes Begrüßungstheater.

„Schnoor hat einen großen Namen bei den Kurden“, sagt Karkaki Kemal vom Zentralkomitee der KDP, und das erklärt sich weniger mit der eher bescheidenen Wiederaufbauhilfe aus NRW im Wert von rund 2,5 Millionen Mark, als mit dem Status des Gastes. Mit Schnoor kam der erste westeuropäische Regierungsvertreter in das befreite Gebiet, der damit bewußt ein Zeichen setzen wollte, um „die kluge Autonomiepolitik der irakischen Kurdenführer zu unterstützen“. Inzwischen werden die vom Bonner Außenamt zunächst mit kühler Distanz beobachteten Düsseldorfer Ausflüge in die Außenpolitik auch von dort wohlwollend begleitet. Barzanis Autonomievorstellungen gelten dem Außenministerium als „legitim und unterstützungswürdig“.

Schnoor fühlt sich während der Reise in seinem Glauben bestätigt, daß es möglich ist, „die Interessen der hier lebenden Menschen mit denen der Bundesrepublik“ in Deckung zu bringen. „Die Menschen wollen hier nicht weg. Sie wollen hier leben, und wir müssen ihnen dabei helfen.“ Sein Besuch dient auch einer Flüchtlingsvermeidungspolitik.

Inzwischen sind die Kurden dabei, die rund 4.500 von Saddam Hussein zerstörten Dörfer mit internationaler Hilfe wieder aufzubauen. Überall im Land sieht man fertiggestellte Häuser, in die die vertriebenen kurdischen Familien zurückgekehrt sind. Wenn die Mittel weiter wie bisher fließen, könnten die meisten Menschen bis zum Winter in festen Gebäuden untergebracht sein.

Ob sie in der zurückgewonnenen Heimat endgültig werden bleiben können, entscheidet sich indes nicht an der Festigkeit der Häuser, sondern an der Präsenz der Alliierten. Während die Menschen früher vor jedem herannahenden Flugzeug Deckung suchten, vermitteln die jetzt über das Gebiet donnernden Jets der Alliierten ein Gefühl von Sicherheit. Am 30. Juni läuft das UN-Mandat ab. Sollte es nicht verlängert werden, wäre die nächste Massenflucht vorprogrammiert. Ohne den alliierten Schutz, glauben die Kurden, würde Saddam Hussein erneut in das Gebiet einfallen.

Der alliierte Flugzeuglärm in den Bergen von Kurdistan unterstreicht für den Sozialdemokraten Schnoor einmal mehr, wie fragwürdig sich das Nein seiner Partei zur Bundeswehrbeteiligung an solchen UN- Aktionen in der Realität darstellt. Schnoor, der am Ende der Reise von dem wohligen Gefühl spricht, das entstehe, „wenn man gelegentlich 'mal was Sinnvolles tut“, nennt dieses Nein der SPD schlicht „pharisäerhaft“.