Die Ausscheidungen der Super-Amöbe

Ein durch und durch aseptischer Prince verunsichert in der Berliner Waldbühne seine auf alles gefaßten Fans mit Gewöhnlichem: Statt sein Image als obszönes Sexsymbol aufzupolieren, mimt er den artigen Megastar von nebenan  ■ Aus Berlin Michaela Schießl

Was Prince ist? Zählen wir zusammen: Prince ist ein frühreifes Allroundgenie aus ärmlichen Verhältnissen — schon im zarten Alter von zwölf Jahren soll er 22 Instrumente beherrscht haben. Prince ist ein Stimmbandwunder mit einer Modulationsbreite von Ivan Rebroff bis Kate Bush. Er ist ein genialer Imitator, ein exaltierter Showman und geheimnisumwitterter Schweiger. Er ist der Revolutionär der Popmusik der achtziger Jahre, gleichsam Profi wie Dilettant. Er ist „James Dean und James Brown in einem“, der „ohne Probleme den Sex-Appeal eines Mick Jagger mit dem Gitarrensound von Jimi Hendrix und Carlos Santana vereint und Funk mit Jazz und Hardrock kreuzt“ ('Spiegel‘). Je nach Tagesform ist er Kunstprodukt oder Naturereignis, Spielball wie Spieler, schüchterner Jüngling und Sex-Ferkel. Prince ist kollegial und arbeitsam, schwarz und weiß und — einzig hier sind sich die Experten einig — klein, aber reich. Prince also ist unbegreifbar. Eine Provokation.

Der Superstar als Einzeller

In Wahrheit funktioniert der Megastar aber simpel: wie eine Amöbe. Dem Anschein nach eigenschaftslos und durchsichtig, saugt er jede Strömung in sich ein, um sie marktgerecht zu recyceln. Meist sind es neue Mixturen, die er von sich gibt, schräg-schrille Parodien des Konventionellen.

Doch wie jedesmal überraschte Prince seine Anhänger, von denen sich 23.000 in der Berliner Waldbühne zur kollektiven Huldigung zusammengefunden hatten. Prince, der immer damit spielt, den Fans nie das zu geben, was sie erwarten, tat diesmal, was eigentlich alle erwartet hätten, wüßten sie nicht, daß sie nichts erwarten dürfen. Denn was die Amöbe diesmal ausschied, war nichts anderes als destilliertes Wasser.

Der einst ob seiner jugendgefährdenden Gebärden berüchtigte Mann mit dem Kindskörper ist, so will er uns weismachen, steril geworden, aseptisch. Mit der automatisierten, professionellen Akribie eines Herzchirurgen arbeitet er sich in die Seelen seiner Fans hinein, ordnet dort die Chemie neu, läßt sich feiern und entschwindet: Patient Publikum ist in Hypnose, die Operation gelungen, der Ruhm des erfolgreichen Operateurs gemehrt.

So war auch der Abgang des blaublütigen Narziß die größte Überraschung des Konzerts: Nach halbstündiger Zugabe und insgesamt zwei Stunden Spielzeit schwebte Prince Rogers Nelson aus Minneapolis mit seiner Band „New Power Generation“ per Hebebühne zu Boden, sprang in die heimlich backstage vorgefahrenen schwarzen Panzerkarossen und haute einfach ab.

Zuvor hatte Prince eine bis ins kleinste Detail durchgestylte Show geboten, die wie gewöhnlich nicht den winzigsten Platz für Spontaneität übrigließ. Was er tat, daran ließ er keinen Zweifel, war beinharte Maloche. Üblicherweise nutzt er diese Form, um sich als Produkt des High- Tech-Fiction-Business, als Marionette des Mediums selbst zu enttarnen und so zu befreien.

Nur hatte man diesmal den eigentümlichen Eindruck, er meine es ernst. Der Inszenierung fehlte jegliche Ironie. Wo er früher unerwartet ein Element — Stimme, Instrument oder Bewegung — bis ins Groteske überzeichnete und dem Betrachter damit eine Interpretationshilfe gab, blieb er im Amphitheater von Berlin verdächtig moderat. Prince tat einfach, als wäre nichts, und mimte den netten Megastar von nebenan.

Von Anfang an kommunizierte er wie seine Berufskollegen mit dem Publikum, das dem egozentrischen Selbstdarsteller bisher immer herzlich egal schien. Anstatt sich wie gewohnt auf die Vorstellung der neuen Scheibe zu beschränken, spulte er am Sonntag beim Konzert zur bereits im November 1991 erschienenen LP Diamonds And Pearls freiwillig seine alten Best-of-Titel ab: Mit Lets go crazy war schon das vierte Stück ein Oldie. Während die Fans ungläubig jubelten, stimmte Prince den Megahit Kiss an. Als Purple Rain folgte, fiel das letzte Mißtrauen: Die 23.000 Fans klatschten frenetisch, die Kollegen vom Roten Kreuz meldeten die ersten Ohnmächtigen.

Prince tanzte und hopste kreischend und mit atemberaubender Körperbeherrschung wild auf seinen Plateauschuhen über die Bühne, doch einen Vergleich mit dem aggressiv-lasziven Derwisch von einst hielt die Body-Show nicht mehr stand. Muß auch nicht, denn mittlerweile genügt schon die Andeutung eines Hüftschwungs, um die Fangemeinde in einen orgiastischen Zustand zu versetzen. So reduzierte der Sex-Prinz sein obszönes Repertoire auf ein Minimum: Pflichtbewußt schmeißt er sich auf den Rücken und tätigt im Turnvater-Jahn-Stil Kopulationsbewegungen. Mit gewollter Wollust umbalzt er seine Bikini-Tänzerinnen. Schließlich steckt er sich artig das Mikrofon zwischen die Beine. Ganz nett, zugegeben, doch in Wahrheit bieten die in bundesdeutschen Haushalten erstellten Heim- Sex-Videos aufregendere Kost. Was das einstige Sex-Symbol Prince da zeigte, war die Rockversion von Safer Sex.

Kein schräger Ton zwischen Get off und Diamonds and Pearls, nichts Schrilles in Gordon is singing. Der LP-Hit Cream fiel zugunsten der „Oldies but Goldies“ gleich ganz aus.

Langsam machte sich unter all dem frenetischen Beifall das Unbehagen über das anständige Benehmen von Prince breit. Und ein Verdacht: Da muß was anderes dahinterstecken. Was will uns der kleine Bruder von Jimi Hendrix sagen, wenn er seine ollen Kamellen in die Länge zieht und zu einem gefälligen Potpourri verwurstet? Bestimmt sendet der Meister des Hohns und Spotts eine Message, nur welche?

Entwarnung: Das Medium ist die Botschaft

Verunsichert schaut der Fan auf das geschmackvolle Bühnenarrangement und den porentief reinen, singenden Princen. Und plötzlich kommt die Erleuchtung: Prince imitiert seinen Plastik-Widersacher Michael Jackson. Deshalb versteckt er seine einmalige Stimme dezent hinter den Instrumenten und dem Begleitgesang. Nur um die Absurdität von Jackson zu zeigen, gibt er dieses professionelle, aber seelenlose Meister-Proper-Konzert. Und nur deshalb die völlig beliebigen Auftritte der Ballettänzerin, der Rollschuhfahrerin, der Fatima. Das ist die Message, durchs Medium eben, wie konnten wir vergessen, McLuhan verzeih. Das muß es einfach sein. Und unser genialer Held, für eine Sekunde nur totgeglaubt, er lebt!

Die nächsten Tournee-Stationen: 2.6. Köln, 3.6. Frankfurt, 5. und 6.6. München, 8.6. Kiel, 9. und 10.6. Hamburg, 30.6. Mannheim,

2.7. Stuttgart, 3.7. Trier. Karten von 49 bis 55 Mark.