Oskar Lafontaine mobilisiert die Heuchler

Saarbrücken (taz) — Nach Berechnungen des 'Spiegel‘ hat der stellvertretende SPD-Parteichef Oskar Lafontaine seit 1985 zusätzlich zu seinen Bezügen als saarländischer Ministerpräsident und Landtagsabgeordneter rund 300.000 Mark Ruhestandsbezüge aus seiner früheren Tätigkeit als Oberbürgermeister von Saabrücken bezogen. „Völlig zu Recht“, wie sein Freund und SPD- Fraktionschef im saarländischen Landtag, Reinhard Klimmt, gestern betonte. „Das ist die Auswirkung eines Gesetzes, das wir alle gemeinsam im Landtag beschlossen haben.“

Lafontaines Regierungssprecherin Maria Zimmermann wiederum kann sich die hohen Ausgleichsbezüge nur als Folge eines „Fehlers“ erklären, der dem Innenausschuß des Landtages unterlaufen sei. In einem Gesetzestext über Mehrfachversorgungen von Ministern sei das Datum der Wirksamkeit verändert worden, so daß, vermutlich völlig unbeabsichtigt, plötzlich auch Lafontaine diese Ausgleichszahlungen zustanden. Den Nettobetrag von 90.000 Mark will der Regierungschef jetzt einem sozialen Zweck zuführen, um, wie Klimmt ausführte, alle Zweifel an seiner Integrität auszuräumen.

Die Unionsparteien haben, glücklich über die Möglichkeit, von eigenen Problemen ablenken zu können, ihre Wadenbeißer ins Feld geschickt. Von der „pseudomoralischen Haltung“ Lafontaines ist die Rede, von „Selbstbedienungsmentalität“ und „unglaublicher Vorteilsnahme“. Im Saarland wollten die Oppositionsparteien von CDU und FDP bis gestern nachmittag noch darüber entscheiden, ob ein Untersuchungsausschuß eingesetzt werden soll, während in Bonn bereits Unionsfraktionschef Johannes Gerster den Rücktritt Lafontaines, des seit Jahren „größten Sozialneidpredigers der Republik“, fordert. Wenn dieser Herr noch einen Rest politischen Schamgefühls mobilisieren könnte, rief Gerster gestern ins Publikum, „würde er sich sofort aus der Politik zurückziehen“.