„Sanktionen“ oder Neuverhandlungen: Folgen eines Neins

■ Auch wenn die übrigen EG-Länder ohne Dänemark an ihrem Unionsweg zimmern wollten: Ohne die Zustimmung Kopenhagens könnten Änderungen nicht wirksam werden

Juristisch ist alles recht eindeutig: Spricht sich eine Mehrheit der DänInnen gegen die verabschiedeten Unionspläne aus, sind die übrigen EG-Mitglieder aufgrund des Artikels 236 des Vertrags von Rom verpflichtet, Dänemarks Recht, das Papier von Maastricht nicht zu ratifizieren, anzuerkennen. Das dänische Nein würde bedeuten, daß es innerhalb der EG keine Einigkeit über die Änderungen hin zu einer Union gibt — die deshalb in der geplanten Form eben nicht realisiert werden kann.

Und: Die Elf müssen akzeptieren, daß Dänemark vollwertiges EG-Mitglied ist und bleibt.

Nun haben „diplomatische Kreise“ in Brüssel bereits signalisiert, daß die übrigen EG-Länder (335 Millionen Menschen) sich den weiteren Unionsweg von 5 Millionen DänInnen nicht verbauen ließen. Doch versuchen könnten die Elf schon, sich darauf zu einigen, eine Union auch ohne Beteiligung Dänemarks zusammenzunageln. Aber auch dann würde es zu den Spielregeln gehören, Verhandlungen unter Einbeziehung Dänemarks zu führen.

Denn eine solche Änderung der Verträge von Rom würde ohne Zustimmung Kopenhagens nicht in Kraft treten können. Eine Prozedur, die im übrigen auch Bundeskanzler Kohl — im Gegensatz zu seinen Äußerungen zwei Monate später in La Rochelle — im März bei der Sitzung des Nordischen Rats in Helsinki für den Fall eines dänischen Neins als selbstverständlich angekündigt hatte. Und nicht nur die Bundesrepublik kann es sich politisch nicht leisten, Dänemark im Regen stehen zu lassen.

Auch Großbritannien will sein ganzes Gewicht einsetzen, Dänemark durch Neuverhandlungen eine Unionsbeteiligung zu ermöglichen. Auch wenn das britische Parlament Maastricht gerade ratifiziert hat: Der nächste Schritt hin zur weiteren EG- Integration, bei der Großbritannien nicht isoliert auf dem Nein-Sager- Bänklein sitzen möchte, kommt gewiß. Gerade im Hinblick auf die bevorstehenden Beitrittsverhandlungen mit Schweden, Finnland, der Schweiz und vermutlich auch Norwegen würde der Versuch, Dänemark in irgendeiner Weise zu übergehen, ein Signal setzen, das Brüssel auf jeden Fall wird vermeiden wollen; denn die ohnehin skeptische Haltung der Bevölkerung in diesen Ländern könnte sich dadurch weiter verstärken.

Vor dem Hintergrund der Unzufriedenheit mit Maastricht wird es aber in Dänemark als nicht unwahrscheinlich angesehen, daß zumindest die BRD ein dänisches Nein zum Anlaß nehmen könnte, Neuverhandlungen zu fordern. Der Zusammenhalt der EG könnte in diesem Fall als Argument herhalten, noch einige wichtige Punkte nachzubessern. Das Argument, auch viele deutsche Politiker würden das Maastrichter Vertragswerk im Grunde gerne kippen, spaltet allerdings die dänischen Nein-Sager; so sei nach Meinung der einen Deutschland nur aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch die Vereinigung bereit, sich in eine Union einbinden zu lassen.

Sollte es zu neuen Verhandlungen kommen, wäre ein denkbares Ergebnis, daß sich in den Bereichen Umweltpolitik und Brüsseler Entscheidungsstrukturen, auf die sich Teile der dänischen Anti-Unions-Bewegung vor allem konzentriert haben, zu wenig bewegt, um es mit einem neuen Text und einer neuen Volksabstimmung zu versuchen. Für diesen Fall macht man sich in Kopenhagen bereits Gedanken, mehr auf die skandinavische Karte zu setzen. Denn auch die möglichen EG-Neuzugänge Schweden, Finnland und Norwegen gelten als nicht „unionsreif“ — vor allem wenn die Frage einer gemeinsamen Verteidigungspolitik berührt wird. „Warum“, so Professor Niels T. Meyer, „der Versuch eines Modells, das für alle europäischen Staaten passen soll. Warum nicht eine Form der Zusammenarbeit, die mehr Freiräume läßt, etwa für einen nordeuropäischen Raum innerhalb der EG mit anderen Zukunftsvisionen als das neoliberale und wachstumsorientierte Maastricht-Modell. Ein solcher Raum könnte auch die Türen zu Osteuropa offenhalten.“ Reinhard Wolff