In der Drehtür zur Einigung Europas

■ Die Bevölkerung Dänemarks könnte unverhofft Schicksal spielen: Wenn im heutigen Referendum die Mehrheit der Wähler das im niederländischen Maastricht geschnürte europäische Unionspaket ablehnt, müßte...

In der Drehtür zur Einigung Europas Die Bevölkerung Dänemarks könnte unverhofft Schicksal spielen: Wenn im heutigen Referendum die Mehrheit der Wähler das im niederländischen Maastricht geschnürte europäische Unionspaket ablehnt, müßte neu verhandelt werden. Denn Europa ist nur einstimmig zu haben.

Wir werden eine Volksabstimmung haben. Das ist nun mal der von unserer Verfassung vorgeschriebene Weg. Aber es gibt überhaupt keinen Zweifel an einem klaren Ja. Es ist eine rein formalrechtliche Prozedur, aber sie muß eben sein.“ Dänemarks Außenminister Uffe Ellemann-Jensen wird sich nachträglich mehr als einmal über diese seine Äußerungen vom Dezember letzten Jahres geärgert haben. Denn genau diese Art von offen zur Schau getragener Arroganz der Regierung hat dazu beigetragen, daß die DänInnen es ihren Herrschenden offenbar zeigen wollen.

Die BürgerInnen des kleinen EG-Landes können heute Schicksal spielen. Ihr Votum zu Maastricht — sie dürfen als erste und neben den IrInnen als einzige dazu ihre Stimme abgeben — kann über Sein oder Nichtsein der gesamten Unionspläne in der vorliegenden Form entscheiden. Zwar würde ein mehrheitliches Nein zunächst nur bedeuten, daß die dänische Regierung kleinlaut ein „Wir nicht“ des skandinavischen Landes bei der geplanten EG-Union nach Brüssel melden müßte. Doch politisch ist ein Auseinanderfallen der EG in A- und B-Mitgliedsländer nicht vorstellbar, juristisch eine Union nur unter Beteiligung aller Mitgliedsländer möglich; Neuverhandlungen über das im letzten Dezember im niederländischen Maastricht zusammengeschnürte Unionspaket wären die wahrscheinliche Folge.

Das sagt man in Brüssel natürlich jetzt noch nicht, sollen doch mit der Drohung, in Zukunft vor die Tür geschickt zu werden, wenn über Unionsfragen entschieden wird, die letzten unentschiedenen Dänen zu einem wenn auch zähneknirschenden Ja veranlaßt werden. Oder wollen sie etwa Einwohner eines EG-Zweitligalandes werden? Dazu noch die einzige Mannschaft dieser zweiten Liga? Erstaunliche 40 Prozent lassen sich von solch einem Schicksal nicht schrecken. Bis in die Schlußphase vor der Volksabstimmung haben die Meinungsforschungsinstitute seit Monaten recht feste Lager der Nein- und Ja- Sager von rund 40 Prozent ermittelt. Der Rest will sich erst in der Wahlkabine entscheiden.

Weder Brüssel noch die dänische Regierung waren davor zurückgeschreckt, die gruseligsten Gespenster aus der Rumpelkammer hervorzuholen. Das ging vom Vorwurf, alle Gegner seien entweder Kommunisten oder Rechtsreaktionäre, bis hin zur Drohung, Dänemark werde vielleicht aus der EG geworfen. Da errechnete die Regierung 200.000 neue Arbeitslose und einen Einbruch beim Außenhandel von umgerechnet 10 bis 15 Milliarden Mark. Da flogen die Sozialdemokraten schnell Björn Engholm mit dem Hubschrauber ein, damit dieser auf einer Pressekonferenz vor seinem eigenen Land warnen durfte: Deutschland drohe, übermächtig zu werden, werde es nicht in die Union von Maastricht eingebunden. Und Gro Harlem Brundtland, Ministerpräsidentin des Nicht- EG-Landes Norwegen, sah sich kompetent genug, den erstaunten DänInnen acht Millionen neuer EG-Arbeitsplätze zu versprechen, wenn sie nur käme, die Union.

„Es ist dumm, dann, wenn die Bevölkerung gespalten ist, eine solche Kampagne zu führen.“ Für Karin Siune, Medienforscherin an der Universität Arhus, ist die Kampagne der Regierung für Maastricht ein Musterbeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte: „Grundfalsch ist, bei einer solchen Stimmungslage nur die angeblichen Vorteile hervorzuheben. Vielmehr wäre es erforderlich, relativ geichgewichtig über Vor- und Nachteile aufzuklären und zu erklären, warum es alles in allem am besten wäre, mit Ja zu stimmen. Untersuchungen zeigen, daß eine solche Argumentation wirkt, wenn das Volk zweifelt.“ Diese Mühe wollte sich die Regierung nicht machen. Ähnlich wie sein Außenminister eröffnete der konservative Ministerpräsident Poul Schlüter mit einem Tritt ins Fettnäpfchen die Kampagne: Er malte für Dänemark ein Chaos an die Wand. Dänemark sollte sich am besten gleich selbst aus der EG verabschieden. Die Kampagne der Ja-Seite drehte sich seither nicht mehr um irgendwelche Argumente für ein Ja, sondern fast ausschließlich um die Frage der Folgen eines Neins.

Die Sozialdemokraten — die ebenso wie die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände („Uns kommt es auf ein paar Millionen nicht an, damit die Bevölkerung gründlich informiert wird“) eine eigene Kampagne führten — stellten es nicht viel besser an. Bei ihnen geht die Spaltung quer durch die Partei. Eine knappe Mehrheit des Fußvolks ist für ein Nein, die Partei insgesamt aber auf der Ja- Sager-Seite. Die Dissidenten werden nur mit Angst vor den Folgen eines Neins bearbeitet, nicht mit Argumenten, was eigentlich für eine Union spricht. Dafür mußten sich Sozialdemokraten und Gewerkschaften bei der 1.-Mai-Feier eine solche Masse von „Nein“- Plakaten und die Redner gar pfundweise überreife Tomaten gefallen lassen, daß die stolze Arbeiterbewegung eine zehn Tage vor der Volksabstimmung geplante Abschlußkundgebung einen Tag vorher kleinlaut absagte. Der mehr pflichtbewußte als engagierte Einsatz der Sozialdemokraten hat allerdings nachvollziehbare innenpolitische Gründe. Abgesehen von der Unlust der Basis muß sie sich auf die Folgen eines Neins einstellen: Die meisten politischen Beobachter gehen davon aus, daß die Regierung Schlüter im Fall der Fälle ihren Hut nehmen wird — Ergebnis wären Neuwahlen.

Wo sich die Ja-Seite schon mal auf Kampagnenhilfe von Politprominenz aus den Nachbarländern stützen konnte, blieb auch die Seite der Nein-Sager nicht ganz ohne ausländische Hilfe. Viele EG-Gegner aus Norwegen und Schweden sahen es als Ehrensache an, den dänischen Unionsgegnern zu helfen. Ein Nein Dänemarks nämlich, da sind sich beide Seiten mal einig, könnte eine nicht zu überschätzende Signalwirkung für die in den restlichen skandinavischen Ländern anstehende Volksabstimmungen zur Frage eines EG-Beitritts haben. Schon jetzt ist lediglich das finnische Volk mehrheitlich bereit, seiner Regierung nach Brüssel zu folgen. Für Schweden und Norwegen sind die Mehrheiten bereits umgeschlagen — was Schweden angeht von einer satten Mehrheit für Brüssel im letzten Jahr in eine klar ablehnende Haltung.

Dänemark war in der Argumentation der Regierungen der Nachbarländer immer als Beispiel für das Positive eines EG-Anschlusses dargestellt worden. Vorherrschendes Motto: Machen wir es unseren dänischen Nachbarn nach. Dieses Argument hoffen die EG-Gegner übernehmen zu können. Parteisekretär Thorbjörn Jagland von der norwegischen Arbeiterpartei resigniert: „Ein Nein für die Union in Dänemark würde den EG- Gegnern bei uns einen gewaltigen Auftrieb geben.“ Das Argument mit den Nachbarn funktioniert im übrigen auch umgekehrt. So malten die Unionsanhänger den DänInnen das Schreckgemälde aus, wie Dänemark gerade aus der Brüsseler Drehtüre herausfliegt, durch die auf der anderen Seite Schweden, Norwegen und Finnland hineinmarschieren. Reinhard Wolff