„Man zwingt uns zum Frontalunterricht

■ Aufgebrachte GrundschullehrerInnen lasen der Politik die Leviten

Das Zeug und das Temperament zu einer zünftigen außerparlamentarischen Opposition hatten die GrundschullehrerInnen und Eltern, die am Montag abend in der Lessingschule mit Abgeordneten der vier Bürgerschaftsfraktionen und Bildungssenator Henning Scherf über die pädagogischen Konsequenzen der Sparpolitik im Grundschulbereich diskutierten. Der Grüne Wolfram Sailer zum Beispiel erntete mit seiner Position, daß „die Sparbeschlüsse unabänderlich beschlossen und Grundlage des Koalitionsvertrages seien“, nur Hohngelächter.

Allen Anwesenden war klar, daß die beschlossene Erhöhung der Klassenfrequenzen von 25 auf 27, die Kürzung von Lehr und Lernmitteln und die Reduzierung von Förderstunden nicht mehr als pädagogische Reform zu kaschieren war. „Schule ist zu teuer!“ proklamierte Bildungssenator Scherf — „Schule kann gar nicht teuer genug sein!“ konterten die LehrerInnen.

Zwei Meinungen prallten unvereinbar aufeinander: Die PolitikerInnen klopften formal auf Bremens zweiten Tabellenplatz in der bundesweiten Hitparade der Schulausstattungen. Die PädagogInnen argumentierten inhaltlich. Die geladenen Kindheitsexperten, der Grundschulpädagoge Rudolf Schmitt und der Kinderpsychiater Arnold Richart, stellten das Phänomen der „radikal veränderten Kindheit“ in den Mittelpunkt. 800 bis 1000 Bremer Kinder zeigen ein sogenanntes „Schulvermeidungsverhalten“. Die These: Die LehrerInnen können die Folgen der Auflösung der Familie für die Kinder nicht mehr auffangen, das System Schule spricht die Medienkinder nicht mehr an und verliert an Einfluß.

Die neuen Großklassen sind unangemessen für Kinder, die nicht nur klüger, sondern auch flippiger, individueller, sozial unangepaßter geworden sind, erklärten die LehrerInnen anhand von vielen Einzelbeispielen. Bremen, bisher Vorreiterin in der Grundschulreform mit offenem Unterricht und differenzierter Kleingruppenarbeit, mache sich mit den Sparmaßnahmen bildungspolitisch unglaubwürdig. „Wir werden gezwungen, zum alten Frontalunterricht zurückzukehren, nachdem wir alles getan haben, um kindgemäßen, offenen Unterricht durchzusetzen. Das ist deprimierend und unakzeptabel“, sagte eine Lehrerin aus dem Publikum.

Beschwichtigungsformeln kamen aus der Ampelecke - und das Eingestehen ihrer Handlungsunfähigkeit. „Es kann nur noch um eine Umverteilungsdebatte gehen, nicht mehr um Rücknahme der Kürzungen“ sagte Bringfriede Kahrs (SPD). - „Die notwendige Unterrichtsbeteiligung der Eltern in den geplanten vollen Halbtagsschulen ist durchaus eine pädagogische Chance...“, lockte Annelene von Schönfeld (FDP). — „Immerhin haben wir 30 neue Lehrerstellen durchgesetzt und damit die geplante Reduzierung von 90 Stellen auf bloße 60 gebracht“, rechnete Bildungssenator Scherf vor.

Klaus Bürger von der CDU war fein raus. Er kritisierte des Bildungssenators Bedarfskonzept als „Rasenmäherprinzip“ und erntete damit ungewohnten Beifall. Cornelia Kurth