Ein Spaßgorilla

■ David Byrne gastierte am Montagabend im Tempodrom

Besser hätte er nicht kommen können: in einer verfrühten Sommernacht, in ein gestreiftes Zelt mitten in Berlin. Er hatte preußisch pünktlich angefangen — wenn nicht vor der Zeit, dann auf die Minute —, daß wir glaubten, er habe noch eine Verabredung vor sich. Da stand er, unprätentiös in Schwarz, und sang unter einem Baustellenlicht Songs aus dem Nähkästchen, vor schwarzem Vorhang und im Stimmkrieg mit der Anlage, zu schrill. Ironisches Kreischen und Stöhnen in Road to Nowhere versetzte die illustre Gesellschaft um die dreißig in Ekstase. Die Augen dunkel gerichtet auf einen dunklen Punkt in der Menge: David Byrne.

Die Demonstration ist eindeutig: Byrne mit Gitarre und dezent wummerndem elektronischem Schlagwerk, das heißt, die Songs sind gewissermaßen Autorensongs, und wenn er sie vorträgt wie einst Joan Baez, verlieren sie nicht ihre Kontur. »I got girls/ On my mind/ I think of them sometimes all the time«: Das funktioniert, wir mögen die Schnickser, das Country & Western-Treiben, die satten Breaks, wir kennen das neue Album uh — oh schon so gut, daß wir manchmal denken, es wäre Rei Momo oder Naked.

Wir hatten von seinem Soloprogramm in Hamburg gehört und uns— in banger Erwartung — auf Bescheidenheit eingestellt. Da fällt der Vorhang, und im grellen Licht steht eine 9-Piece-Band, Bläser, Percussionisten, Baß und Keyboard. Der Schnitt erinnert an den klassischen Wechsel vom akustischen zum elektrischen Set — aber das sind doch, zum Glück, Kategorien der frühen Jahre.

Jetzt kann man ihn im grellen Licht bestaunen, den wie irren Blick, die grob auf fein gestutzten Koteletten, die schon etwas klebrige Halblanghaarfrisur, der Junge im Mann im Klischee. Vierzig ist er, und liebt, wie er unserer Zeitung gestand, die »gedankenlose Geschwindigkeit«.

Die Band, eingeführt mit dem blechintensiven und herrlich schmierigen, tänzelnden Mr. Jones (von der allerletzten Talking-Heads-LP Naked) — namentlich und hautmäßig das ganze New Yorker Spektrum — erweist sich als schriller, angespitzter als das vor Lockerheit berstende Set der Rei Momo-Tour vor drei Jahren. Die Rhythmen werden scharf, wie mit ständig fortschreitendem minimalem Zeitverlust, entlang der elektrisch fiebernden Stränge der Keyboards aufgereiht. Schlingernd geraten die Harmonien an die Grenze des erträglich Ironischen: leicht übertrieben ein gewollt falsches Flötensolo von Steve Sacks. Byrne ist nicht das ruhende Zentrum einer Combo und nicht der Star auf dem Tablett, sondern immer noch eine vibrierende Figur, die auf beweglichem Grund erst ihre Statur gewinnt, harsch, forsch und gelegentlich sentimental spekulierend über die Abgründe des Lebens; das Fernsehen, die Sehnsucht, die Fernsucht und das Geld. Perfekt simuliert er, mit einer hochgradig professionellen Band, die ihre Ausgelassenheit ausstellt, den Reisenden durch das Ungeschick; und mimt bei Gelegenheit den Affen, Spaßgorilla im Dekadenzkeller des globalen Dorfs.

Er hätte uns vernichten können, hätte er uns so plötzlich, wie es zunächst scheinen sollte, allein gelassen; aber kam natürlich zurück, mit Burning down the House, was uns als Raubbau am Erfolg der Talking Heads erschienen wäre, hätte er nicht schon im Soloset die Autonomie des David Byrne als Songschreiber unter Beweis gestellt. Es ist dann doch sein, ganz sein Material. Nur der Einstieg zur zweiten Zugabe war angenehm verwirrend: Mick Jaggers pulsierendes Sympathy for the Devil als Coverversion ohne viel Spirenzchen. Womit wohl klar wäre, daß auch die Schatzkammer des »Rock« denen nicht verschlossen bleibt, zu deren Ehre Feuerzeuge zu zünden tabu ist und noch lange bleiben wird.

Dann standen wir vor dem Zelt und sahen ihn im Dunkel des niedrigen Eingangs noch einmal erscheinen, allein, mit der weißen Gitarre oder der roten, und ein sanftes Lied vortragen; wer jetzt dazugekommen wäre, gutwillig ahnungslos, hätte sich vielleicht in der Melodie wiegen können, ohne lachen zu müssen. Ulf Erdmann Ziegler