: Hilfsbereit, aber mißtrauisch
■ Spendenaufkommen im armen Ostdeutschland liegt pro Kopf zehn Mark höher als im reichen Westen
Berlin. Wer kennt schon Bembereke? Wer weiß, wo Kandi liegt oder Natitingou? Die Mitglieder der Ostberliner Interessengemeinschaft Friedenskreis Pankow wissen, daß die Menschen in diesen Orten des westafrikanischen Benin alljährlich in der Trockenzeit ihre Götter um Wasser anflehen — oft genug vergebens, denn hier am Rand der Sahelzone bringen die Regenperioden von Jahr zu Jahr weniger Niederschläge. Helfen könnten nur noch Brunnen. Dafür sammeln die Pankower derzeit Geld, und bald kann in Benin der erste mit ostdeutschen Spenden finanzierte Brunnen gebaut werden.
Viele solcher Beispiele kann Ali Salem, Beauftragter der Deutschen Welthungerhilfe für die neuen Bundesländer, nennen. Trotz der oft bedrückenden Sorgen um die eigene Zukunft leisten Ostdeutsche aktiv und ideenreich Hilfe für die Dritte Welt. Da haben Bäcker aus ganz Brandenburg beschlossen, jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit ein paar hundert Stollen mehr zu backen und mit dem Erlös die Ausbildung junger Facharbeiter in Ghana zu fördern. Musiker der Chemnitzer Philharmonie werben in Sachsen für die »Aktion Restpfennig«, an der sich die Belegschaften mancher westdeutscher Unternehmen schon seit 1982 beteiligen: Die Pfennigbeträge hinter dem Komma der Lohn- und Gehaltszahlung werden automatisch an die Welthungerhilfe überwiesen.
Doch Ostdeutsche helfen nicht nur mit Pfennigen. Besonders bei kirchlichen Organisationen wie »Brot für die Welt« und »Misereor«, die bereits zu DDR-Zeiten tätig sein durften, gingen 1991/92 insgesamt mehrere Millionen Mark ein.
Dennoch bleibt das Gesamtspendenaufkommen weit hinter dem früherer Jahre zurück. Das Mißtrauen gegenüber jeglicher Art von Spendenaufrufen sitzt im Osten tief. Einerseits ist die Erinnerung an die »freiwilligen« Solidaritätsspenden wach, die über die Staatsgewerkschaft FDGB mit dem Monatsbeitrag eingezogen und unter Kontrolle der SED an Dritte- Welt-Staaten zum »proletarischen Internationalismus« ausgeteilt wurden. Für Verbitterung haben andererseits in den ersten Monaten nach der Wende Trickbetrüger von jenseits der Elbe gesorgt.
Kein Wunder, wenn selbst grundsolide Organisationen, wie die unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten stehende Deutsche Welthungerhilfe, in Ostdeutschland erst einige tausend Spender gewinnen konnten. Zuversichtlich stimmen Ali Salem und seine ehrenamtlichen Mitstreiter jedoch Erfahrungen wie diese: Zwar machen die ostdeutschen Spenden für die Welthungerhilfe bislang nur einen sehr geringen Teil ihres jährlichen Aufkommens von deutlich über 30 Millionen Mark aus. Doch lag 1991 die durchschnittliche Spende im armen Ostdeutschland mit 70 Mark pro Spender um zehn Mark höher als in den alten Bundesländern. Thomas Burmeister/dpa
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