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VON SELBSTKLEBECOUPONS UND GUTEN FEEN

Die Familien-Fibel

Berlin (taz) — Die meisten Menschen, die ihre sozio-sexuelle Beziehung legalisieren wollen, haben nicht die geringste Ahnung, was ein Leben nach dem Standesamt überhaupt bedeutet: Auf welchem Stuhl der Hochzeitstafel sitzt Oma? Wieviel Dosenöffner braucht ein gemeinsamer Haushalt? Wie planen wir die Kosten für das neue Bad? Zum Glück gibt es auf alle diese komplizierten Fragen eine einfache Antwort: die Familien-Fibel. Ein 130 Seiten starker und bunter Ratgeber für den jungen Hausstand, in dem 28 „aus Funk und Fernsehen bekannte Unternehmen“ sowie ein Bundesministerium dem Hochzeitspaar helfen, die ersten Schritte auf dem gemeinsamen Lebensweg aufrecht zu gehen.

Obwohl es ein einmaliger Glücksfall sei, einander gefunden zu haben, will die Fibel-Redaktion keine falschen Illusionen wecken. Schon auf Seite acht heißt es, daß der Ehebund nicht ewig hält. Und weil das so ist, sollten Sie sich — bevor Sie ihr Ja- Wort geben — Gedanken über eine eventuelle Trennung bzw. die Folgen einen Todesfalles machen.

Doch vor Scheidung, Kücheneinrichtung und Kinderkriegen kommt erst einmal die Hochzeit. Ein genauer Terminplaner bewahrt vor unangenehmer Vergeßlichkeit. 8 Wochen vorher sollte das werdende Paar die Hochzeitskutsche bestellen. 4 Wochen vorher mit der Sparkasse oder Bank über ein gemeinsames Konto sprechen, 1 Woche vorher Schuhe einlaufen, damit sie am Hochzeitstag nicht drücken.

Bei der Wahl der Geschenke sollte das Paar erst überlegen, dann wünschen. Habe man sich über den Geschmack geeinigt, dann sei der Gang durchs Fachgeschäft, unter kundiger Führung, märchenhaft schön. Die Verkäuferin hat die Rolle der guten Fee übernommen, der man alle seine Wünsche anvertrauen darf.

Jetzt schlägt im hilfreichen Buch der Gong der Besteckbranche und Backzutatenbonzen. Wer spült schon gern Geschirr?, kommt ein großes Elektrogeräte-Unternehmen aus München zur Sache. Jetzt werde oft argumentiert, wissen die Elektroexperten, die Küche sei zu klein oder man spüle zu selten. Die richtige Antwort darauf ist der Geschirrspüler soundso [Fabrikat d. Red. bekannt].

Die Isolierflaschenindustrie stellt ihre neueste Kannenkollektion vor, und es werden Mikrowellengeräte (aus München) und Garderobenausstattungen (Arolsen) angepriesen. Familien-Fibel-Leser werden nach der Lektüre ein Möbelwerk aus Pfuhlendorf nie wieder vergessen: Auf einer Seite taucht der aus vier Buchstaben bestehende Firmenname vorsichtshalber 17mal auf. Und wenn das Sparschwein nach Abzahlen des Eigenheims, den Beiträgen für Altersvorsorge und Lebensversicherung noch immer grunzt, entscheide man sich vielleicht für Aktien, schlägt ein Leverkusener Chemiekonzern vor: bei uns profitabel und sicher.

Am Ende des leichtverständlichen Buches, daß die Werbeorganisation „Felicitas“ und Juweliere Jahr für Jahr mit 224.000 Exemplaren kostenlos unters heiratswillige Volk werfen, warten Coupons mit einprägsamen Firmenemblemen darauf, angeleckt und auf beigefügte Postkarten geklebt zu werden. Antwort mit Produktinformationen kommt umgehend zurück. Auf den an die Familien-Fibel adressierten Karten ist auch Platz für Verbesserungsvorschläge. Zum Glück. Denn einen einzigen Mangel weist das Buch auf. Für das Brautpaar wird eine letzte Frage nicht beantwortet: Wie teuer kommen uns die Ratschläge der Familien-Fibel zu stehen? Dirk Wildt

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