Der kurze Sommer der Legalisierung

Spaniens Sozialisten kappen ihre einst liberale Drogenpolitik/ Gesetz macht öffentlichen Konsum strafbar  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Bis vor kurzem geschahen Ankauf und Genuß vorwiegend in der Öffentlichkeit. Auf der Plaza de Chueca, der Plaza 2 de Mayo oder in der San-Andrés-Straße standen die Kleinhändler, dünne, ausgemergelte Gestalten, die hier „Camellos“, „Kamele“, genannt werden, und warteten, die Hände in die Westentaschen vergraben, auf Kunden. Näherte sich ein solcher, zumeist ebenso ausgemergelt, dann verschwand das „Kamel“ kurz um die Ecke, oder es trat an den nächstliegenden Baucontainer und zog mit sicherem Griff daraus ein Papierchen hervor, das dann den Besitzer wechselte. Auf einem Bordstein sitzend, in einem Hauseingang oder auf einer Parkbank machte der Junkie dann seine Spritze fertig, setzte sich den Schuß, ließ die Spritze unter sich fallen und sackte weg.

Wurde jemand aus diesem Ambiente einer Polizeistreife ansichtig, rief er „Agua“, Wasser — dann verschwanden die Papierchen in Windeseile erneut in Containern, in Bordsteinritzen, und Fenstersimsen. Es drohte materieller Schaden: Die Polizei konnte die Drogen beschlagnahmen und gegen Händler ein Verfahren einleiten, wenn sie sie in flagranti ertappte. Den Kunden passierte nichts: Besitz und Gebrauch von Drogen war nicht strafbar.

1983, als sie noch Cordjacken, lange Haare und linke Parolen trugen, hatten die Sozialisten den Drogengebrauch legalisiert. Sie waren erst ein Jahr an der Regierung, es roch nach Freiheit in Spanien und im Parlament gelegentlich nach einem Joint. Doch schon Ende der achtziger Jahre waren die Drogen nicht mehr eine Frage der Freiheit, sondern der städtischen Sicherheit. Die alten Zentren der Großstädte und ihre proletarischen Vororte hatten sich mit Junkies und ihren Händlern bevölkert, auf den Wegen der öffentlichen Parks und in den Rinnsteinen sammelten sich blutige Spritzen. Die Bewohner der betroffenen Viertel störten sich nicht nur zunehmend an den fixenden Jugendlichen in ihren Hauseingängen, sondern auch daran, daß die dealenden „Kamele“ die Teenies bereits am Schuleingang empfingen, um sie mit dem süßen Stoff vertraut zu machen. Erschwerend kam hinzu, daß die Süchtigen zunehmend ihr direktes Umfeld zu Raubzügen nützten, mit deren Ausbeute der Stoff finanziert wurde.

Bürgerwehren und Gesetze gegen Drogen

Vor zwei Jahren wurden in einigen Arbeitervorstädten von Madrid die ersten Bürgerwehren gegründet. Ganze Familienverbände strömten abends auf die Straße, um Dealer und Junkies mit Prügel und Gebrüll aus dem Viertel zu vertreiben. Die Behörden schreckten ob der Selbstjustiz auf, verstärkten kurzfristig die Polizeipräsenz in den betroffenen Vierteln, die Bürgerwehren lösten sich wieder auf, und bald darauf war alles beim alten.

Als wenig später eine rechte Stadtregierung zum Zuge kam, sah sie hier eine Profilierungschance. Als erstes wurden die Polizeipatrouillen verstärkt, als nächstes an mehreren einschlägigen Plätzen die Parkbänke abmontiert. Danach konnten sich freilich vor allem die Alten nicht mehr zu ihrem täglichen Schwätzchen setzen — die Jugendlichen dealten im Stehen weiter. Antonias Café an der Plaza del 2 de Mayo, soziales Zentrum des Platzes, wurde geschlossen, weil dort angeblich gedealt worden war. Die Tische des Cafés, deren buntgemischtes Publikum den Platz belebt hatten, verschwanden. Konsequenz: Die Plaza gehörte fortan Junkies und Dealern allein.

Im vergangenen Oktober verbot Madrids Bürgermeister Alvarez del Manzano den Drogengebrauch in der Öffentlichkeit. Der Erlaß des konservativen Stadtoberhaupts wurde allerdings im Februar hinfällig, als ihn ein „Gesetz zur öffentlichen Sicherheit“ aus dem Hause des Innenministers José Corcuera rechts überholte. Die Sozialisten hatten ihren Freiheitsrausch ausgeschlafen, tragen inzwischen keine Cordjacken mehr, und ihre Jet-Set-Freunde, von denen einige vor kurzem von einem unbotmäßigen Richter wegen Kokainhandels ins Gefängnis (für nur kurze Zeit, aber immerhin) gesteckt wurden, koksen streng privat. Das „Corcuera-Gesetz“ macht den Besitz von Drogen und ihren öffentlichen Gebrauch strafbar, dies kann mit einer Geldbuße als auch mit Führerscheinentzug geahndet werden.

Der Erfolg des heftig umstrittenen Gesetzes ist durchschlagend. Wenn an einer Ecke der Plaza 2 de Mayo das patrouillierende Polizistenpärchen auftaucht, verschwinden „Kamele“ und Kunden um die gegenüberliegende Ecke. Verschwindet das Pärchen, kehrt der Kleinhandel auf den Platz zurück. Die Orte zum Fixen haben sich entzerrt. In Seitenstraßen kauern Junkies zwischen zwei parkenden Autos, Pensionen und leerstehende Gebäude dienen als Ersatz für den öffentlichen Raum.

Daß dadurch auch nur ein einziger Junkie von der Nadel kommt, glaubt selbst der Oberkommissar der Polizeiwache Centro von Madrid, Juan Zurera, nicht. „Kinder und Jugendliche sollen nicht lernen, daß Drogengebrauch etwas Normales ist“, führt er zur Verteidigung an. „Und Rauschgiftkonsum in der Öffentlichkeit unter Strafe zu stellen, hat einen Abschreckungseffekt.“ Für wichtiger hält er jedoch Information und Betreuung — doch gerade in diesem Bereich hat die rechte Stadtregierung nun eingespart.

Auch die Bestrafung der Junkies hat nur mäßigen Effekt. Denn nach ihrem Festhalten durch die Streife und der Aufnahme ihrer persönlichen Daten müssen sie wieder freigelassen werden — falls sie nicht gerade beim Dealen erwischt worden sind. Beim Gerichtstermin sind sie dann meist schon nicht mehr greifbar. Und eine Geldsumme von ihnen einzutreiben, hat sich bislang in allen Fällen als illusorisch erwiesen. Dennoch sind schon jetzt knapp die Hälfte aller spanischen Gefängnisinsassen Fixer.

Das neue Gesetz habe die Arbeit der Polizei erleichtert, befindet Oberkommissar Zurera befriedigt. Und immerhin seien seither weniger Junkies zu sehen. Der Rest fällt nicht in seine Zuständigkeit.