Waffenstillstand sofort gebrochen

Serbische Presse wiederholt Durchhalteparolen/ Kinkel schließt militärisches Eingreifen nicht aus  ■ Aus Budapest Roland Hofwiler

Der siebte Waffenstillstand für Sarajevo hielt am Montag abend gerade eine Stunde, dann hagelte wieder schweres Granatfeuer auf die Stadt. Bis in die Morgenstunden wurde Sarajevo von den umliegenden Bergen beschossen. Wie immer beschuldigte die serbische Seite die muslimanischen Bürgerwehren, das Feuer auf die Marschall-Tito-Kaserne im Zentrum der Hauptstadt eröffnet zu haben, worauf man gezwungen gewesen sei, „militärisch zu antworten“. Bosnische Fernsehaufnahmen belegen jedoch, daß auf die Kaserne keine Schüsse abgefeuert wurden.

Die Hungersnot in Sarajevo wird immer dramatischer. Die meisten Geschäfte in der Stadt, die vor dem Krieg etwa 500.000 Einwohner zählte, sind zerstört oder ausgeplündert worden. Wegen Stromausfalles haben die Bäckereien in den letzten Tagen kein Brot mehr backen können. Durch die serbische Blockade ist Sarajevo von der Außenwelt seit Tagen praktisch abgeschnitten. Besonders kritisch ist es im größten Krankenhaus der Stadt. Nach Angaben der Ärzte befänden sich viele Verwundete wegen der Hungersnot in kritischem Zustand.

Trotz des wenig verheißungsvollen Auftaktes der UNO-Vermittlung zum Waffenstillstand versuchten gestern die UNO-Vertreter vor Ort, die Öffnung des Flughafens für humanitäre Hilfslieferungen zu erreichen.

Den Rücktritt seines ehemaligen Schülers und jetzigen serbischen Präsidenten Milosević forderte der bekannte Universitätsprofessor Marko Mladenovic in einem offenen Brief. „Du wirst in die Geschichte als ein Mann eingehen,... der die Apokalypse eines ganzen Volkes zugelassen hat... Du bist blind geworden vor Macht..., du bist für das serbische Drama am meisten verantwortlich... Tritt zurück.“ Serbische Zeitungen veröffentlichten dagegen gestern wieder seitenlange Stellungnahmen zu den „ungerechtfertigten und böswilligen Sanktionen“ der internationalen Staatengemeinschaft. Zitiert wurde eine Rede des serbischen Freischärlerführers Vojislav Seselj, dessen Radikale Partei aufgrund des Wahlboykotts der demokratischen Opposition wohl nach Milosevićs Sozialistischer Partei als zweitstärkste Fraktion bei den Wahlen am Sonntag zum neuen jugoslawischen Parlament hervorgehen wird. Seselj wörtlich: „Wir werden der Weltverschwörung gegen Serbien“ und dem „Germanensturm“ standhalten.

Angesichts der kilometerlangen Schlangen vor den Tankstellen gaben auch andere serbische Spitzenpolitiker Durchhalteparolen ab, wie der Belgrader Regierungschef Bogdan Bogdanovic. Nach ihm könne das UNO-Sanktionspaket Serbien nicht treffen, da Serbien mit dem „Bürgerkrieg“ in Bosnien nichts zu tun habe und sich auch nicht, wie es der Westen wünsche, hineinziehen lassen werde. Militäraktionen gegen sein Land wisse Serbien im Notfall zu erwidern.

Erneut hat Bundesaußenminister Kinkel in Paris bei der Versammlung der Westeuropäischen Union klargemacht, daß ein militärisches Eingreifen der Europäer in Jugoslawien nicht ausgeschlossen werden könne, etwa zur Überwachung der UNO- Sanktionen. Dies könne aber nur ein letztes Mittel sein. Zunächst hoffe er auf die Wirkung der Sanktionen.

Auf die Frage eines WEU-Parlamentariers, was Bonn bei einer Entsendung europäischer Truppen nach Jugoslawien tun würde, meinte Kinkel, aus historischen Gründen sollten „wenn irgend möglich“ keine deutschen Soldaten dabeisein. Er spielte damit ganz offenbar auf die deutsche Okkupation Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg an.