Dunkle Wolken über dem Zuckerhut

■ Die Weigerung Washingtons, die Artenschutzkonvention zu unterzeichnen, stellt den Erfolg der Umweltkonferenz von Rio von vornherein in Frage. Die Industrienationen verstecken sich in der Frage der...

Dunkle Wolken über dem Zuckerhut Die Weigerung Washingtons, die Artenschutzkonvention zu unterzeichnen, stellt den Erfolg der Umweltkonferenz von Rio von vornherein in Frage. Die Industrienationen verstecken sich in der Frage der Klimakonvention hinter Buhmann George Bush. Und für die übrigen Ziele fehlt das Geld.

AUS RIO DE JANEIRO HERMANN-JOSEF TENHAGEN

Die Sonne schien ungewöhnlich heiß am Strand von Copacabana, die Kariokas bräunten sich im brasilianischen Winter. Maurice Strong, Generalsekretär des UNO-Gipfels, eilte von Podium zu Podium, lächelte Indianer, Stadtväter und Unternehmer an, verkündete die großartige „Opportunity“ und versicherte jedem/r einzelnen, wie wichtig sein oder ihr Beitrag zur Rettung des Planeten sei. Das war vor dem Wochenende. Inzwischen sind Stimmung und Wetter umgeschlagen. Regenwolken verhängen den Blick über die Berge Rios. Der segnende Christus ist oft nicht mehr zu sehen, und mehr und mehr Beobachter philosophieren bereits über das Scheitern des Unternehmens. Greenpeace warnte am Montag gar, der Gipfel sei dabei „den Planeten auszuverkaufen“.

Vor zweieinhalb Jahren hatten die Vereinten Nationen in New York beschlossen, daß es die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) geben muß. Die Welt müsse sich der globalen Herausforderung durch Armut und Umweltverschmutzung stellen. Große Hoffnungen richteten sich auf Rio und in diversen Vorbereitungstreffen bemühten sich seither über 160 Regierungen zu Vereinbarungen in den dringendsten Umweltfragen zu kommen. Was war passiert, was hat die Stimmung in Rio so verhagelt?

Die Konferenz geriet unversehens in „friendly fire“. George Bush, selbsternannter Umweltpräsident der USA und umworbener Gast des Gipfels, verkündete im Wahlkampf, daß er die Artenschutz-Konvention, eine der tragenden Säulen des Rio- Gipfels, nicht unterzeichnen wolle. Er lasse sich nicht „auf Ziele verpflichten, die der amerikanischen Wirtschaft schaden.“ „Das wird einen Schatten über den Gipfel werfen“, so Gordon Shepherd vom „World Wide Fund For Nature“ (WWF). „Damit werden andere Länder geradezu ermutigt, den ziemlich komplizierten Kompromiß, der hinter den Artenschutz-Konvention steht, wieder aufzuribbeln“, sorgt er sich. Schon deuten ein Dutzend andere Länder an, daß sie den noch vor 10 Tagen in Nairobi einstimmig verabschiedeten Entwurf ebenfalls in Frage stellen werden. Franzosen und Malaysier haben ihre Ablehnung bereits verkündet. Das Papier ist zwar bei weitem nicht perfekt. „Aber in dem Konventionsentwurf waren endlich Formulierungen für den Technologietransfer und für den Zusammenhang von Umweltschutz im Süden und finanziellen Leistungen des Nordens gefunden, von denen wir glaubten, daß sie ein Anfang sein könnten“, meint Shephert. Genau das paßt Bush nicht — die Entwicklungsländer erhielten viel zu viel Mitspracherecht in Finanzfragen.

Der Entwurf von Nairobi sieht vor, den Schutz bedrohter Tierarten durch ausgewiesene Refugien zu erhöhen. Der Entwurf verpflichtet die unterzeichnenden Nationen innerhalb eines Jahres zu einem Report über ihre schützenswerte Ökosysteme und darüber, wie sie den Schutz bewerkstelligen wollen. Noch wichtiger aber sei es, „daß die Artenschutz-Anstrengungen der Dritten Welt an die Bereitstellung von Geldern gekoppelt ist. Wenn die Entwicklungsländer die Gelder nicht erhalten, können sie von den Schutzmaßnahmen zurücktreten“, erklärt Shepherd den genau austarierten Kompromiß. Auch die Frage der gentechnischen Nutzung der Reservoirs vor allem in den tropischen Regenwäldern ist geregelt. Westliche Firmen sollen zwar das Recht erhalten, das Erbmaterial von Pflanzen, wenn sie es für wertvoll halten, zu nutzen, sie sollen aber Geld und auch Technologien zur Nutzung den entsprechenden Entwicklungsländern zur Verfügung stellen. Dabei geht es um enorme Summen: Experten taxieren den Wert einer Pflanze aus Madagaskar, in der man eine Substanz gegen Leukämie vermutet, auf rund 100 Millionen Dollar jährlich.

Die Gipfeldiplomaten und Staatschefs in Rio werden sich außer mit der Artenschutzkonvention auch mit einer Klimakonvention beschäftigen, ein Umweltprogramm für das 21.Jahrhundert (Agenda 21) schreiben und eine Charta der Umweltrechte festschreiben. Ziel ist es, einen Prozeß einzuleiten, mit dem die Umgestaltung unseres Planeten begonnen wird.

Zumindest die Klimakonvention, mit der weltweit die Emmissionen des Treibhausgases Kohlendioxid unter Kontrolle gebracht werden sollen, steht. Der Entwurf ist unter den über 160 Staaten bislang unstrittig, was nicht weiter verwundert, da er niemandem weh tut. Auch hier waren auf Drängen von Wahlkämpfer Bush in einer letzten Verhandlungsrunde Anfang Mai in New York Änderungen vorgenommen worden. „Da hat er die Erde den kurzlebigen Interessen der amerikanischen Ölindustrie geopfert“, so Greenpeacler Josh Karliner am Montag in Rio. Die 550 Millionen Benzin- und Dieselschlucker weltweit dürfen ungehindert weiterfahren. Selbst die Bundesregierung räumt ein, daß das Fehlen einer Zeitvorgabe für die Verminderung des Treibhausgases Kohlendioxid eine „wesentliche Schwäche des Konventionsentwurfs“ sei. Eine völkerrechtlich bindende Konvention, die für das wichtigste Treibhausgas keine einforderbare Reduzierung vorschreibt, bleibe „deutlich hinter den deutschen Vorstellungen zurück“. Joachim Spangenberg vom Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland berichtete unterdessen aus der deutschen Delegation, daß es Pläne für eine zusätzliche Klima-Erklärung gebe, mit der sich eine Reihe von EG-Staaten, Japan und die osteuropäischen Staaten Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei auf ein Einfrieren der CO2-Emmission auf dem Stand von 1990 bis zum Jahr 2000 verpflichten wollen.

Der International Panel on Climate Change (IPCC), eine anerkannte Konferenz von 300 Klimatologen hatte 1990 die Verringerung der CO2-Emmissionen um 60 bis 80 Prozent bis zum Jahr 2020 gefordert — andernfalls werde sich die Erde pro Jahrzehnt um 0,3 Grad Celsius erwärmen, mit katastrophalen Folgen. Greenpeace-Aktivist Karliner flüchtet sich in Sarkasmus: „Der Klimakompromiß ist das teuerste Flugticket nach Rio in der gesamten Weltgeschichte. Der Gipfel wär besser dran, wenn George Bush nicht kommt.“ Anstatt Bush jeden umweltpolitischen Fortschritt boykottieren zu lassen, solle „der Gipfel endlich Bush boykottieren.“

Auf eine bindende Wälderkonvention, mit der Tropenwälder aber auch die Waldgebiete des Nordens vor der weiteren Abholzung bewahrt werden, haben sich die Staaten auch nicht einigen können. Zu groß war der Widerstand der holzexportierenden Drittweltstaaten und Japans gegen jede Beschneidung ihrer Geschäfte. Nicht einmal eine substantielle Deklaration zum Schutz der Wälder scheint mehr möglich. Während pro Jahr Tropenwald von der Größe Englands vernichtet wird, führen Amerikaner und Malaysier mit Hinweis auf den freien Welthandel die Opposition gegen jede Erwähnung eines Holzhandelsmoratoriums an.

Aus der Agenda 21, Hauptwerk und geplanter Blueprint für die umweltgerechte Erde des nächsten Jahrtausends, ist inzwischen ein weitgehend akzeptiertes 800-Seiten-Konvolut geworden, dem aber das Entscheidende fehlt: das Geld zur Umsetzung. Besonders wichtig, so die UNCED-Diplomaten immer wieder, sei, daß die „Entwicklungsländer neue und zusätzliche finanzielle Mittel und Technologien“ zur Verfügung gestellt bekommen. Für Jamsheed Marker, den pakistanischen Vorsitzenden der „Gruppe der 77“ bei der Konferenz, sind neue Finanzleistungen des Nordens „der Dynamo, der den UNCED-Prozeß antreiben kann“. 125 Milliarden Dollar im Jahr müßte der Westen nach UNO-Berechnungen aufbringen. Doch die sind nirgends in Sicht. UNCED-Präsident Maurice Strong scheint deshalb auf die großen Konzerne zu setzen. Sie sollen im Süden investieren, das Geld und die notwendige Technologie mitbringen. Vor allem der japanischen Industrie wird nachgesagt, daß sie einen Koffer voll Geld mit nach Rio bringen werde. Aber die Unterstützung der großen Konzerne ist nicht umsonst. Der freie Handel für freie Giftmischer darf nicht eingeschränkt werden. „Die Frage der Regulierung der großen transnationalen Konzerne wird nicht einmal gestellt“, schimpft Karliner von Greenpeace. „Die haben den Rio-Gipfel geradezu gekapert.“ Dabei sind die transnationalen Konzerne die größten Umweltverschmutzer überhaupt. Sie emittieren mehr als die Hälfte aller Treibhausgase aus der Industrie und produzieren fast alle Flurchlorkohlenwasserstoffe (FCKW).