Polizei und Ratlosigkeit in Brüssel

Delors: Der Zeitplan wird eingehalten/ Ausschluß Dänemarks, Nachverhandlungen oder was?  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Sind die Dänen schon im Anmarsch, fragt sich der verblüffte Journalist. Dem Polizeiaufgebot nach zu urteilen, das vor der EG-Zentrale in Brüssel Stellung bezogen hat, muß es sich um ein regelrechtes Heer von EG- Gegnern handeln. Stacheldrahtbarrieren und Wasserwerfer beeindrucken jedoch lediglich das Medienvolk, das in Scharen zur Pressekonferenz ins Breydel-Gebäude eilt. Jacques Delors ist angekündigt. Höchstpersönlich bemüht sich der EG-Chef in die Niederungen des Pressesaals, um die Gemüter zu beruhigen. Denn die Aufregung ist groß. Hunderte von Journalisten drängen sich in den völlig überfüllten Kellerräumen. Schließlich: Bedeutet das „Nein“ der Dänen zu Maastricht nicht das Ende der EG?

Gott behüte, wissen die grauen Eminenzen die schreibende Zunft zu besänftigen. Doch wie soll es weitergehen, muß Dänemark ausgeschlossen werden? Oder werden jetzt vielleicht auch die Deutschen abspringen? Andere diskutieren bereits, wohin sie versetzt werden. Von solchen Sorgen scheinbar unberührt erklärt Delors, die Mitgliedstaaten müßten das Vertragswerk von Maastricht „unbeirrt im vorgegebenen Zeitraum“ ratifizieren. Denn: „Es handelt sich um einen qualitativen Sprung, der unabdingbar ist, damit die EG die internationalen Herausforderungen besteht und ihre Verantwortung erfüllt.“ Schluß der Vorstellung. Fragen können nicht gestellt werden. Doch die Drohung hängt kaum verhüllt im Raum: Entweder die Dänen stimmen Maastricht zu oder sie fliegen aus der EG.

Die Vorstellung, man könne die EG, so wie sie jetzt ist, beibehalten und nicht weiterentwickeln, ist jedoch nicht nur für den Europa-Strategen absurd. Auch der portugiesische Außenminister und derzeitige EG-Ratsvorsitzende Joao de Deus Pinheiro wollte am Mittwoch in Brüssel einen Ausschluß Dänemarks aus der EG nicht ausschließen. Neuverhandlungen der Verträge, die die dänische Regierung fordert, erteilte Pinheiro eine deutliche Absage. Dies sei zu gefährlich, wußten EG-Beamte zu berichten, die sich ebenfalls ins Gewühle gestürzt hatten. Damit wäre der letzten Dezember mühsam ausgehandelte Kompromiß über eine wirtschaftliche und politische Union Europas hinfällig.

Keine Neuverhandlungen

Neuverhandlungen schloß auch der französische Präsident Francois Mitterrand aus. Er überraschte allerdings mit der Ankündigung, er wolle nun ebenfalls eine Volksabstimmung über die Vereinbarungen abhalten lassen. Bislang war nur noch in Irland für den 18.Juni ein Referendum angesetzt. Wohl um seine Landsleute auf Kurs zu bringen, erklärte Staatschef Mitterrand: „Die Elf sind entschlossen, den Vertrag von Maastricht voll anzuwenden. Es geht nicht, daß ein Land den Fortschritt der anderen aufhält.“

Wie die EG reagieren soll, wollen die Außenminister heute in Oslo am Rande einer Nato-Tagung diskutieren. Das im vergangenen Dezember im niederländischen Maastricht ausgehandelte Vertragswerk, das den Weg zur Europäischen Union und zur gemeinsamen Währung vorzeichnet, muß von allen zwölf Mitgliedsländern der EG ratifiziert werden. Fehlt nur ein Land, kann es nicht in Kraft treten. Die Ankündigung Pinheiros, Maastricht notfalls zu elft zu realisieren, ist aber nur mit der Zustimmung der Dänen zu verwirklichen, weil alle Änderungen der Römischen Verträge zu zwölft beschlossen werden müssen. Die Folge wäre eine Zwei-Klassen-Gemeinschaft: Die Dänen müßten sich im Ministerrat bei allen Entscheidungen zu Maastricht — etwa der Verwirklichung der Währungsunion, der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder einer gemeinsamen Visumspolitik — der Stimme enthalten. Ein heilloses Chaos wäre die Folge. Die Alternative? Ein Ausschluß Dänemarks der Gemeinschaft. Denn mit dem Nein zur Europäischen Union haben die Dänen auch den Römischen Gründungsvertrag der EG in Frage gestellt. Dort ist bereits das Ziel der Union festgeschrieben.