Der Markt hat den „Auftrag“ überrollt

■ Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis die Traditionsanstalten unter die Räder kommen: Bei der Verteilung des 3,5 Milliarden Mark schweren Werbekuchens sind ARD und ZDF hintendran

Unter dem Banner von „Mehr Vielfalt!“ hat das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern zu einer endlosen Wiederholung des Immergleichen, meist Seichten geführt. Und nachdem das Balgen um Moderatoren die ersten Höhepunkte, Länderpunkte, Doll- und Dallpunkte bereits hinter sich gelassen hat, geht es nun langsam, aber sicher ans Eingemachte. Sat.1 hat die Sportschau der ARD gekillt und hätte bald auch gern eine aufgemotzte Ziehung der Lottozahlen im Programm. RTLplus plant die Einführung eines zweiten Programms, die „Westschiene“ will unter dem Namen „Vox“ und mit den Bertelsmännern im Rücken ein informationshaltiges „Qualitätsfernsehen“ gegen ARD und ZDF in Stellung bringen. In Berlin werden derweil die Kinderschuhe für ein „deutsches CNN“ geschnürt. Die Preise für Sportübertragungen und Spielfilme explodieren, die TV-Werbung expansiert immer weiter; allein in den vergangenen vier Jahren hat sich die Anzahl der Spots fast vervierfacht. Bei der Verteilung des 3,5 Milliarden schweren Werbekuchens im TV sind die öffentlich-rechtlichen Anstalten bereits ins Hintertreffen geraten: Für sie sind nur 45 Prozent übrig. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis die Traditionsanstalten unters „Glücksrad“ kommen — trotz der „Entwicklungs- und Bestandsgarantie“ durch die Karlsruher Verfassungsrichter, trotz der „Auslagerung“ von Teilen der „Grundversorgung“ in Satellitenprogramme. Die Grenzen der werbeträchtigen Zurichtung des Programms von ARD und ZDF scheinen erreicht.

Eine Abschwächung der Kommerzentwicklung ist nicht zu erwarten — definiert doch die EG den Rundfunk als „Dienstleistung“ und das Programm als eine Ware wie jede andere. Dem Flechtwerk der Medienkonzerne werden weder Linzenzgeber noch Kartellbehörden Herr. Theoretisch kann ein privater Rundfunkveranstalter, der rund um die Uhr sendet, in seinem Programm 288 Minuten Werbung plazieren — 216 Minuten Spotwerbung und 72 Minuten andere Werbeformen. Die Öffentlich-Rechtlichen dürfen täglich bislang 20 Minuten TV-Spots schalten.

Lückenbüßer statt Sitzstreik in der 1. Reihe

Kein Wunder, daß ARD und ZDF — zumal bei weiterem Expansionskurs— mehr Sponsoring wollen und Werbung nach 20 Uhr und in einem „Vampirblock“ nach Mitternacht. Doch je mehr sich deren Programm dem der Privaten angleicht, desto schwieriger wird es für ARD und ZDF, die Erhebung von Rundfunkgebühren zu rechtfertigen. Zumal die Privatprogramme doch auf den ersten Blick „gratis“ zu sein scheinen. Die Gebühr (momentan 23,80 DM) läßt sich kaum noch erhöhen — auch deshalb nicht, weil Parteipolitiker den Gebührenzahlern teure Zusatzbürden wie das deutsch-französische Kulturprogramm „arte“ und den nationalen Hörfunk auflasten. In dem Dilemma zwischen Quoten und der gesetzlich aufgegebenen Qualität (nicht zu vergessen die Gebührenknute der Parteien) könnten zunächst Reformen helfen, die die Öffentlich- Rechtlichen kreativer, wirtschaftlich effektiver und offener für gesellschaftliche Gruppen machen.

Doch da solche Reformen schon in den 70er Jahren angedacht wurden, wird immer häufiger auch ein „Werbeverbot“ für ARD und ZDF ins Spiel gebracht. Zu bedenken wäre dabei aber, daß weniger Einnahmen auch mehr Abhängigkeiten von der Politik bedeuten. So mancher Medienwissenschaftler hat deshalb schon daran gedacht, nach einem Werbeverbot die Privaten per „Grundversorgungsabgabe“ zur Kasse zu bitten. Doch da dürfte die Marktwirtschaft davor sein. Ohne Reformen aber dürfte der Niedergang des öffentlichen Rundfunks programmiert sein. Dann bliebe zu Beginn des nächsten Jahrhunderts für ARD und ZDF vielleicht nur noch das Lückenbüßerdasein statt des Sitzstreiks in der ersten Reihe.