■ NACHGEFRAGT: "Unser Schwert wird stumpfer"
Seit Montag hat die Polizei an der Sielwall-Kreuzung für Junkies und Anwohner eine Meckerecke eingerichtet. Etwa 1.000 Fragebögen werden von den Beamten verteilt. Die taz sprach darüber mit Polizeipräsident Rolf Lüken.
taz: Herr Lüken, welchen Sinn hat diese Aktion?
Rolf Lüken: Sie hat den Sinn, daß die Polizei ins Gespräch kommt an der Sielwall-Kreuzung, und zwar mit allen Gruppen, mit den Junkies und den Anwohnern. Wir haben uns vorgenommen, die Defizite, die es hier noch gibt, aus polizeilicher Sicht aufzubrechen.
Korrespondiert das mit der Rücknahme von Repressionsmaßnahmen?
Nein, nein. Wir werden nach wie vor gegen jede Form des Dealens einschreiten wie bisher. Wir wollen nur deutlich machen, daß wir sehr wohl den Unterschied sehen zwischen den Abhängigen und denjenigen, die sich eine goldene Nase daran verdienen.
Es ist unwahrscheinlich schwierig, zum Beispiel den Geschäftsleuten dort klarzumachen, daß es diesen Unterschied auch aus polizeilicher Sicht gibt. Jetzt müssen aber endlich auch die begleitenden Maßnahmen der anderen Ressorts greifen, Betreuung, Wohnplätze gegen Obdachlosigkeit, undsoweiter.
Ist es nicht ein bißchen blauäugig, die Junkies beim Dealen zu verfolgen und gleichzeitig zu erklären, wie sie ihren Stoff möglichst bürgerfreundlich konsumieren können?
Das tun wir ja nicht. Wir sagen ihnen ja, daß Bürger ärgerlich werden, wenn Junkies in ihrem Hauseingang liegen. Darüberhinaus können wir natürlich nur appellieren an jeden Süchtigen, seine Sucht loszuwerden. Das ist aber nicht unsere Aufgabe. Aber der Süchtige muß auch Verständnis haben für den Bürger. Und den Bürgern muß man sagen, daß das eigentlich Kranke sind, denen man mit Toleranz begegnen muß. Wir als Innenbehörde haben unsere Aufgabe mehr als erfüllt, und man muß deutlich sehen, daß unser Schwert stumpfer wird, weil sich die Gegenseitte auf die polizeilichen Maßnahmen einzustellen beginnt.
Sind Sie mit Ihren Möglichkeiten an eine Grenze gestoßen?
Ja. Wir sind ja an Gesetz und Recht gebunden, und die haben wir ausgeschöpft. Eine weitere polizeiliche Möglichkeit wäre jetzt noch für bestimmte Personen ein Platzverweis ausspricht. Man kann einem Dealer sagen: Du hast Dich hier am Sielwall nicht mehr aufzuhalten. Wir haben das schon versucht, wurden aber vom Verwaltungsgericht zurückgepfiffen, weil die rechtsanwaltlich vertreten waren und das Gericht gesagt hat: Das ist unverhältnismäßig. Das wäre noch ein Rechtsinstitut, daß es noch neu zu überdenken gilt. mad
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