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Der Superheld an der Seite des Volkes

■ »SuperBarrio«, Galionsfigur der Armen von Mexiko-Stadt und dickbäuchiger Kämpfer für Gerechtigkeit, kämpfte erstmals in Berlin/ Gegner des dickbäuchigen Maskierten sind Miethaie, korrupte Behörden und Aids/ Kommt jetzt »SuperBärlin«?

Berlin. Der Mann im Overall schaukelt das Kind auf dem Arm, seine Frau putzt, draußen fällt der Regen in den Kreuzberger Hinterhof, da tritt das Böse auf: dunkle Brille, fieser Mund, Anzug, Schlips, herrische Grunzlaute — der Hausbesitzer. Rausschmiß. »Komm, verteidige uns!« Doch der Mann traut sich nicht. Der Vermieter gebietet grunzend: Raus! Kein von Gott gesandter Blitz läßt ihn zu Asche zerfallen. Verzweiflung. Was tun? Der Rettungsschrei: »SuperBarrio!! Rette uns, SuperBarrio!!!«

Aus dem Publikum tapert eine dickbäuchige Gestalt hervor, mit einer aggressiven gelb-roten Maske, die den ganzen Kopf umhüllt, Catcher-Schuhen, einer knappen Hose, goldenem Cape und knallrotem Oberteil mit großem Superman-Emblem — nein, nicht »S« wie »Superman«, sondern »SB« wie »SuperBarrio«, der Kämpfer für Gerechtigkeit nicht in der Welt der Hollywoodfilme, sondern in den Barrios, den Vierteln der Armen von Mexiko- Stadt. Er steht jetzt dem Vermieter gegenüber, die Familie an seiner Seite. Musik. Der seriöse Finsterling hat sich jetzt auch eine schwarze Maske übergestülpt, seines Anzugs entledigt, kommt ein Catcher-Kostüm zum Vorschein. Der Kampf beginnt. SuperBarrio steckt ein, aber er schlägt zurück. Der schmächtige Mann im Overall eilt ihm zu Hilfe, gemeinsam überwinden sie den Kerl mit der schwarzen Maske und tragen ihn raus. Noch einmal will der Fiese zurück, doch jetzt tritt ihn der Mann alleine: Raus mit dem Vermieter, auf Nimmerwiedersehen!

Nun, so schnell wie in diesem Sketch werden auch in der mexikanischen Wirklichkeit die Miethaie nicht zu Fischstäbchen zu verarbeiten sein. Doch »SuperBarrio« ist in der 16-, 18- oder 22-Millionen-Metropole Mexiko längst zu einer Institution geworden, an der niemand so leicht vorbeikommt. Seit er vor fünf Jahren zum erstenmal in seinem SuperBarrio-Outfit eine Demonstration gegen Zwangsräumungen und für billige Wohnungen anführte, ist er zur heißgeliebten Galionsfigur der städtischen Armen geworden, erklärt Barbara Beck, Politologin am Lateinamerika-Institut der FU und SuperBarrio-Sympathisantin der ersten Stunde, den Hintergrund des aufgeführten Spektakels.

Denn SuperBarrio, dies betont der Maskierte immer wieder, ist kein »individualistischer Einzelkämpfer wie der Film-Superman«. Schließlich hat er ja auch keine übermenschlichen Kräfte, klar. Was Gerichtsvollzieher und Bürgermeister, Polizeichefs und Oppositionspolitiker dazu zwingt, ihn ernst zu nehmen, mit ihm zu verhandeln, Zugeständnisse zu machen, ist allein die Unterstützung der Tausende in den Barrios der größten Stadt der Welt, die in ihm ihren Fürsprecher sehen.

Und das ist der erste, psychologisch so wichtige Sieg: daß diese Herren in Schlips und Anzug einen Maskierten (dessen wirkliche Identität ein — auch bei seinem jetzigen Besuch in Berlin — sorgsam gehütetes Geheimnis ist) als Vertreter des Volkes anerkennen, ihn als Gesprächspartner respektieren müssen. Doch SuperBarrio kokettiert nur mit der Rolle des alle Probleme lösenden Übervaters; in Wirklichkeit ist er ein Parademodell von, wie es im Entwicklungsjargon heißen würde, »Hilfe zur Selbsthilfe«. Er kann, wie er mit Nachdruck erklärt, nur unterstützen, anregen, vermitteln; den Kampf gegen Wohnungsnotstand und Armut müssen die Armen selbst führen, es rettet sie kein höheres Wesen, auch kein SuperBarrio.

Und trotz seines kometenhaften Aufstiegs ist der fleischgewordene Superheld der Organisation der Armenviertelbewohner, aus der er entstanden ist, der »Asamblea de los Barrios«, treu geblieben. Er hat sich nicht, wie es in Mexiko die Regel wäre, von der allgewaltigen Regierungspartei PRI einkaufen lassen. Glaubwürdigkeit ist sein entscheidendes Kapital bei den einfachen Leuten, erklärt denn auch SuperBarrio das Geheimnis seiner Popularität. Und er tut dies mit einer Selbstverständlichkeit, die vergessen läßt, wie hanebüchen es eigentlich ist, wenn eine in die Realität transplantierte Comic-Figur über nun schon fünf Jahre mehr Glaubwürdigkeit behaupten kann als die vermeintlich frei gewählten Volksvertreter.

Dabei sind SuperBarrios Mittel, um für die Armen Partei zu ergreifen, ziemlich begrenzt und moderat. Der Widerstand sei grundsätzlich gewaltfrei, stellt er klar. In den letzten fünf Jahren, so die von SuperBarrio präsentierte Bilanz, habe die »Asamblea« insgesamt rund 1.500 Räumungen verhindern können.

Aber der dickbäuchige Superheld beschränkt seinen Einsatz nicht mehr allein auf den Wohnungskampf. So wie er mit illegalen mexikanischen Arbeitern nach Kalifornien zog und einen spektakulären Auftritt im Stadtrat von Los Angeles inszenierte, sind weder Smog noch saurer Regen vor ihm sicher. Unlängst nahm er für eine von den Basisbewegungen organisierte Aufklärungskampagne sogar den Kampf mit Aids auf. Dem Charisma des so normalmenschlichen Supermannes mochte am Mittwoch abend in der Kreuzberger Fabriketage auch so mancher nicht widerstehen, der ähnliches aus anderem Munde schnell als reformistischen Pipifax abtun würde. Denn nicht nur für die Armen von Mexiko, die die traditionellen Latsch-Demos und Wortgefechte der Links-Parteien kaum noch aus der Hütte locken, ist SuperBarrio eine begeisternde Identifikationsfigur. Auch auf die anwesende Solidaritäts- und Soziologen-Szene wirkt SuperBarrio, der »dem System« nicht die Maske vom Gesicht reißt, sondern sie sich selbst aufsetzt, spürbar belebend. Die einst der exotischen Realität ferner Länder entliehenen Helden vom Schlage eines Che Guevara oder Ho Ho Ho Chi Minh erweisen sich derzeit als definitiv weniger utopietauglich als eine mit so viel Ernsthaftigkeit wie Selbstironie auf die Erde geholte Illusion von Allmacht, gepaart mit kleinen, pragmatischen Erfolgen im Hier und Jetzt.

Und auch hierzulande gäbe es für einen leidenschaftlich an der Seite der Mieter kämpfenden »SuperBärlin« alle Hände voll zu tun; noch fehlt auch der überzeugende »Magic Mecklenburger«, der als Rächer der DDRten Bundestag und Treuhand nervt, oder der »SuperSachse« oder die »WartburgWoman« oder ... Bert Hoffmann

Der Auftritt von SuperBarrio war der Auftakt für eine Veranstaltungsreihe »Gegen die HERRschende Weltordnung« der Kampagne »500 Jahre Eroberung und Widerstand«. Bis zum 21. Juni finden täglich Filme, Diskussionen oder Workshops zum Thema statt. Programm und Veranstaltungsinformation: FDCL 6934029.

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