Die alte Würgenummer

■ Harry Hass' »Koko Metaller« — ein Romandebüt in zufälligen Makulaturblättern

Hör die Worte von Harry Hass! Geheimdienste, Bauernfänger und Puscher, hört meine Worte!« Gleich auf Seite 24 seines Romanfragments rührt der Autor kräftig die Werbetrommel für sein Produkt. Der prophetische Ton ist ernst gemeint. Harry Hass hält sich tatsächlich für berufen, der Literatur der Gegenwart den definitiven Roman auf den Tisch zu knallen: Koko Metaller, eine Bombe von Buch, der längst überfällige Schlag in die Fresse des Kulturestablishments.

Harry Hass haßt sie alle. Weil er sich verfolgt fühlt. Das hat er mit seiner Hauptfigur gemeinsam, deren panische Gedankenströme die Seiten füllen. Koko Metaller ist ein Gangster, einer von der sensiblen Sorte. Zwar läßt »der rote Lippenstiftring an ihrer Filterziggi« ihn »total kalt«, doch hinter der coolen Fassade soll eine privilegierte Wahrnehmungsfähigkeit schlummern. Der Held, überdeutlich auf den Spuren Philip Marlowes wandelnd, kontrolliert die Wirklichkeit aus den Augenwinkeln. Wo andere harmlose Passanten sehen, enttarnt sein Röntgenblick Geheimagenten, wo der Normalmensch banale Wirklichkeit wahrnimmt, wittert er Viren. Daß Drogen dabei eine Rolle spielen, wird nicht verschwiegen, sondern geradezu hervorgekehrt. Erst unter ihrem Einfluß entpuppt sich die gesamte Realität als großangelegte Verschwörung.

Durch Rauschmittel gesteigerte Wahrnehmungsfähigkeit als Basis eines schockartigen, detektivischen Realismus — das hat natürlich seine gute literarische Tradition. Die auch Hass kennt. Pathetisch erhebt er seinen Metaller zum unbestechlichen Registrator in der Nachfolge der Großstadt-Flaneure. »Ich will genau sein«, heißt es gleich zu Beginn seiner Aufzeichnungen. Durch radikales Beharren auf dem Besonderen soll auch das schlechte Allgemeine noch einmal dingfest gemacht werden.

Die erste Enttäuschung des Romans: genau, das ist weder der Autor noch sein Alter ego. Selten nur ragen sinnliche Details ins Delirium des Wortstroms: das Kottbusser Tor, eine verwilderte Botschaft im Tiergarten — bloße Eckdaten, die mit keiner Realität gefüllt werden, weil die Innenwahrnehmung sich unablässig über die Außenwahrnehmung stülpt und Konkretes im Wortk(r)ampf erstickt. »Wohin du auch siehst, Syphilisation, Irrsinn, der grassiert« — doch gerade der bleibt bloß behauptet. Harry Hass enttarnt nicht die (tatsächlich vorhandene) Surrealität der Realität, legt nicht mit den Mitteln der Drogen-Mimesis die paranoide Verfaßtheit eines zeichenübersäten Gesellschaftsraums frei, er liefert bloß das unendliche Kreisen eines Gedankenstroms, der aus seiner Selbstbezüglichkeit nicht mehr herausfindet. Vielleicht war die Birne zum Zeitpunkt der Niederschrift doch zu weichgedrogt.

Je abstrakter die Sprache sich austobt, desto pathetischer beharrt sie allerdings auf dem unerträglichen Gewicht der Welt. Harry Hass alias Koko M., das ist auch ein Schmerzensmann im Stile der siebziger Jahre. Nicht umsonst nennt der Verleger seinen Namen in einem Atemzug mit Rolf Dieter Brinkmann, Fritz Zorn oder Bernward Vesper. Auch für Koko Metaller ist der schmerzgebeugte Körper der letzte Garant für Realität. Hinter dem authentischen Ausdruck herhechelnd, will er das wahre Leben über das Vorzeigen seiner Wunden einklagen. Wo das nicht gelingt, lizensiert der Märtyrer auch schon mal den Brandstifter. Dann wünscht sich Harry — ähnlich wie Brinkmann, nur längst nicht so sprachmächtig — »einen Anschlag, der ein für allemal Schluß macht mit dem Dreck der Zivilisation, der Überbevölkerung an gewöhnlich dummen Mutterfickern«.

Das soll wohl shocking klingen, führt in seinem geliehenen Gestus aber unmittelbar zur zweiten und größeren Enttäuschung des Romans: Selten habe ich beim Lesen eines Buchs ein derart penetrantes Gefühl von déjà lu gehabt. Etwas dirty speech und Obszönität aus den Sechzigern, das Viren-Motiv und die Paranoia-Methodik von Burroughs, explodierende Kreuzungen und Attentäter-Phantasien von Brinkmann und Goetz, etwas Zivilisationshaß von Céline und Pound, dazwischen ein paar romantische Kraftmeiereien à la Wondratschek — das alles zusammengenommen ergibt ein (manchmal) hübsches Florilegium, aber doch nicht den Roman zur Zeit! Seltsamerweise ist Koko Metaller, bei allem Pathos des Selbsterlittenen, als literarisches Produkt absolut unauthentisch, sekundär, ohne »eigene« Sprache — ein verspäteter Klassiker seines Genres, den keiner mehr braucht. Koko Metaller sagt es an einer Stelle selbst: »die alte Würgenummer«. Thomas Groß

Harry Hass: Koko Metaller. Maas Verlag Berlin, 1992, 28 DM.