Züchterische Traditionen

■ Das Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung heißt Erwin-Baur-Institut/ Baur forderte die Sterilisation Behinderter und trug „zur Institutionalisierung der Eugenik in Deutschland“ bei

Ein weißes Blümchen brachte das Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung (Erwin-Baur-Institut) 1990 in die Schlagzeilen: Ein fremdes Gen sollte Petunien lachsrot anlaufen lassen. Zum ersten Mal durften Wissenschaftler gentechnisch manipulierte Pflanzen unter freiem Himmel aussetzen. Das Experiment mißlang zwar — die 30.000 durch ein artfremdes Mais- Gen manipulierten Petunien blühten nicht lachsrot, wie die Forscher es vorausgesagt hatten. Doch auf den Präzendenzfall folgte der zweite Anlauf: Obwohl 1.600 Bürger Einwendungen dagegen erhoben hatten, genehmigte das Bundesgesundheitsamt im vergangenen Jahr die Fortsetzung des Petunien-Versuchs, der, wie es offiziell heißt, die „genetische Grundlagenforschung“ voranbringen soll. Für Pioniergeist steht auch der Mann, dessen Name das Kölner Institut trägt: Professor Erwin Baur. Der Vererbungswissenschaftler, erster Direktor des 1928 eingeweihten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Züchtungsforschung in Müncheberg bei Berlin, wird in Veröffentlichungen der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) zur Förderung der Wissenschaften stets in den höchsten Tönen gelobt: „Baurs Initiativen verdanken wir die Züchtung eines Weizens für die leichten Böden Deutschlands, die Förderung der reblaus- und mehltauwiderstandsfähiger Reben und frost- und krautfäulewiderstandsfähiger Kartoffeln“, heißt es in dem Buch Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft, das über eintausend Seiten lange Werk hat die Max-Planck-Gesellschaft, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hervorgegangen ist, durch einen „international zusammengesetzten Kreis von Autoren“ erstellen lassen — aus Anlaß ihres 75jährigen Bestehens am 11. Januar 1986.

Als die ungewöhnlich umfangreiche Festschrift 1990 mit vierjähriger Verspätung erschien, lobten die Herausgeber Rudolf Vierhaus und Bernhard vom Brocke sie als „die bisher umfassendste und detaillierteste, am besten dokumentierte Darstellung der Geschichte der Kaiser-Wilhelm- /Max-Planck-Gesellschaft von ihrer Vorgeschichte bis in die Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg“. Doch die hauseigene Geschichtsschreibung hat Lücken — zumindest was Erwin Baur betrifft, dessen Wirken als Botaniker und Genetiker in der umfangreichen Festschrift auf mehreren Seiten gewürdigt wird. Verschwiegen wird in den Publikationen der MPG, daß Baur sich auch kontinuierlich an der Diskussion um die sogenannte „Rassenhygiene“ beteiligte.

Diabetes als „Entartungserscheinung“

Zwischen 1917 und 1919 war Baur Vorsitzender der Berliner „Gesellschaft für Rassenhygiene“, bis 1927 war er Mitglied des preußischen „Ausschusses für Bevölkerungswesen und Rassenhygiene“. Gemeinsam mit den Professoren Eugen Fischer und Fritz Lenz verfaßte Erwin Baur das zweibändige Lehrbuch Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene. Dieser sogenannte „Baur-Fischer-Lenz“ wurde zum Standardwerk der eugenischen Bewegung und zwischen 1921 und 1940 mehrmals aufgelegt. Im ersten Band schreibt Baur, „die heutige Menschheit“ zeige „die gleichen Entartungserscheinungen wie jedes andere, der natürlichen Zuchtwahl entzogene Lebewesen“. Als „Entartungserscheinung“ sah er beispielsweise Diabetes (Zuckerkrankheit) an. Baur warnte: „Schon die Verhinderung einer natürlichen Ausmerzung, das heißt der zu weit gehende hygienische und soziale Schutz geistig oder körperlich minderwertiger Mutanten, kann zur Entartung eines Volkes führen, wenn nicht in irgendeiner Weise dafür gesorgt wird, daß die Fortpflanzung der Minderwertigen unterbleibt, oder doch schwächer ist, als beim Volksdurchschnitt.“

Was seiner Ansicht nach gegen die „Entartung“ zu tun sei, gab Baur wiederholt zu Protokoll. Die von dem alldeutschen Verleger und NSDAP-Förderer Julius Friedrich Lehmann verbreitete Zeitschrift 'Volk und Rasse‘ druckte im April 1932 zwei Vorträge nach, die Baur wenige Wochen vorher an der Universität Uppsala in Schweden gehalten hatte. Unter der Überschrift „Der Untergang der Kulturvölker im Lichte der Biologie“ verlangte Baur „eine Rechtsprechung, die den Schutz der Gesellschaft und den Schutz der Rasse zum Ziel hat“. Der Genetiker stellte sich die Reform folgendermaßen vor: „Unsere Rechtspflege sollte durch humane, aber dauernde Asylierung und dadurch Unschädlichmachung aller asozialen Elemente uns andere schützen und sollte — am besten durch gesetzlich vorgeschriebene Sterilisation — die offensichtlich kriminell veranlagten Menschen an der Fortpflanzung hindern. Das ist alles ohne Schwierigkeit durch sehr einfache chirurgische Eingriffe zu erreichen.“

Die Chancen zur Einführung der Zwangssterilisation schätzte Baur im April 1932 allerdings skeptisch ein. „Wegen zahlloser Vorurteile und vor allem wegen der biologischen Unbildung und Verständnislosigkeit der Mehrzahl unserer Politiker und vor allem unserer Juristen“ verlaufe der „Fortschritt“ auf diesem Gebiet „langsam“, klagte Baur.

Doch bereits 15 Monate später wurden die wissenschaftlichen Ratschläge zur Unfruchtbarmachung sogenannter „Minderwertiger“ zur offiziellen Politik erklärt. Am 14.Juli 1933 beschloß die Reichsregierung das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Das Gesetz trat am 1. Januar 1934 in Kraft und legalisierte die massenhafte Zwangssterilisation von behinderten und alkoholkranken Menschen. Wissenschaftler schätzen, daß während der Nazi-Herrschaft rund 400.000 Menschen unfruchtbar gemacht wurden.

Erwin Baur erlebte das nicht mehr. Am 2. Dezember 1933 erlag er, 58jährig, einem Herzanfall. Doch fünf Jahre nach seinem Tod war er gleichsam unsterblich: 1938 wurde das Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung nach Baur benannt, und auch das Kölner Nachfolgeinstitut trägt heute noch seinen Namen.

„Die Diskussion bereitet uns großes Unbehagen“

Daß Baur sich auch als Rassenhygieniker einen Namen gemacht hat, verschweigt die Max-Planck-Gesellschaft. Gleichwohl gibt es hinter den Kulissen einige Irritationen, seitdem Professor Heinz Saedler, Direktor der Abteilung Molekulare Pflanzengenetik am Erwin-Baur-Institut, im März 1990 im Westdeutschen Rundfunk zur Namensgebung seines Hauses Stellung genommen hatte. „Wir stehen immer noch in der züchterischen Tradition, die Erwin Baur implementiert hat“, bekannte Saedler, räumte aber auch ein: „Andererseits bereitet uns die Diskussion großes Unbehagen, weil viele der Äußerungen (Baurs) absolut mißverständlich und unangebracht sind.“ Nachdem Saedlers Äußerungen im Radio zu hören waren, suchte sich die Münchner Generalverwaltung der MPG wissenschaftlichen Beistand. Im Dezember 1990 beauftragte sie den Direktor des Münsteraner Universitätsinstituts für Theorie und Geschichte der Medizin, Professor Richard Toellner, ein Gutachten zum Wirken Erwin Baurs zu erstellen. Toellner hat sich unter anderem einen Namen als Herausgeber des Jahrbuches des „Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland“ gemacht.

Für den Auftrag aus München nahmen sich der renommierte Medizinhistoriker und seine Mitarbeiter Hans-Peter Kröner und Karin Weisemann viel Zeit. Nach einjähriger Arbeit schickten sie der MPG einen 118seitigen Abschlußbericht — mit folgendem Resümee: „Das Gutachten hofft gezeigt und im einzelnen detailliert belegt zu haben, daß Erwin Baur eine geistige Urheberschaft an den historischen Verbrechen, die der Nationalsozialismus begangen hat, nicht angelastet werden kann, er aber Teil hat an der historischen Schuld seiner Generation und seiner Schicht in Deutschland, deren Festhalten an autoritären Strukturen, deren Nationalismus und deren elitäres, demokratiefernes Denken die Bedingungen für die Möglichkeit nationalsozialistischer Herrschaft schufen.“ Er habe „die Machtergreifung Hitlers nicht in Ergebenheitsadressen und Festreden öffentlich begrüßt, aber er hat sich sogleich mit dem neuen Regime zu arrangieren versucht“.

„Den eugenischen Gedanken“, so die Gutachter, habe der Genetiker seit 1906 „bis ans Ende seines Lebens aktiv vertreten“, zudem habe er „zum wissenschaftlichen Ansehen, zur Verbreitung und zur Institutionalisierung der Eugenik in Deutschland maßgeblich beigetragen“. Was Baurs Wortwahl angeht, so geben die Müsteraner Medizinhistoriker zu bedenken: „Zur gerechten Beurteilung Baurscher Auslassungen zur Rassenhygiene muß freilich berücksichtigt werden, daß er mit allen Europäern seiner Generation das Vorurteil von der Höherwertigkeit der weißen Rasse teilt und Ausdrücke wie ,minderwertig‘, ,Entartung‘, ,Ausmerze‘ noch als Termini technici der eugenischen Wissenschaft gelten dürfen, auf jeden Fall von ihrer Stigmatisierung durch die Verbrechen des Nationalsozialismus noch frei sind.“ Trotz solcher Relativierungen stellen auch die Gutachter fest, daß Erwin Baur Zwangssterilisationen „erblich Minderwertiger“ propagiert hat. Gleichwohl findet die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Abteilung I der MPG-Generalverwaltung die Ergebnisse der Müsteraner Medizinhistoriker „entlastend“ für Erwin Baur. Mithin sieht man in München keinen Anlaß, die Bezeichnung „Erwin-Baur-Institut“ ernsthaft in Frage zu stellen. Bis heute ist denn auch das zentrale Entscheidungsgremium der MPG, der Senat, über Baurs Biographie nicht offiziell informiert worden. Im Senat sitzen neben Prominenten aus Wissenschaft und Wirtschaft auch die Hauptgeldgeber der gemeinnützigen Max-Planck-Gesellschaft: Politiker aus Bund und Ländern, die jährlich mit rund einer Milliarde Mark aus Steuergeldern die Arbeit der MPG finanzieren.

Gleichwohl müßte mindestens einer aus dem Kreis der MPG-Senatoren über Baurs rassenhygienisches Wirken Bescheid wissen: Johannes Rau, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, das mit Millionenzuschüssen den 1991 abgeschlossenen Ausbau des Kölner Instituts unterstützt hatte. Ende März fragte die grüne Landtagsabgeordnete Katrin Grüber die Rau-Regierung schriftlich, ob sie sich im MPG- Senat dafür einsetzen werde, die Bezeichnung „Erwin-Baur-Institut“ abzuschaffen und ob sie bereit sei, die Gewährung weiterer Zuschüsse von einer Änderung des Institutsnamens abhängig zu machen.

Sechs Wochen später antwortet Wissenschaftsministerin Anke Brunn vage, die nordrhein-westfälische Landesregierung werde „zunächst den Meinungsbildungsprozeß in der Max-Planck-Gesellschaft abwarten.“ Was sie danach zu tun gedenkt, läßt sie offen, fügt aber hinzu, dem Land sei es nicht möglich, finanziellen Druck auf das Kölner Institut auszuüben. Schließlich, begründet die Ministerin, entscheide die MPG „in eigener Verantwortung“, wie sie die Zuschüsse des Bundes und der Länder auf ihre Forschungseinrichtungen verteilt. Klaus-Peter Görlitzer