■ SPÄTLESE
: Beastig

Beastig

Schöne Leichen leben am längsten. Die bessere Hälfte der SchriftstellerInnen ist der Nachwelt vor allem optisch bekannt: Jane Austens spitzes evangelisches Gesichtchen, George Sands Chopinblick unterm Karin-Struck-Gewalle, Virginia Woolfs ätherisch-melancholisches Profil, ihrer Freundin Vita Sackville-West matronenhafte Männlichkeit im Tweed. So kommen sie alle, ungeachtet ihrer literarischen Bedeutung, auf und über uns, zu Tode portraitiert und mit allzu späten Lorbeeren bedacht, in unzähligen Übersetzungen auch des kleinsten Nebenwerkes, die, weil rechtefrei, kaum etwas kosten als den ÜbersetzerInnen(hunger)lohn und meistens auch so sind.

Ein Beispiel für den grauenhaften Schindluder, der mit wehrlosen Texten getrieben werden kann, bietet die Übertragung des Werkes von Jane Austen in weiten Teilen: ihre sechs Romane, in fast ebenso vielen Verlagen und Verdeutschungen erhältlich, harren noch immer einer Übersetzung, welche die pedantische und filigrane Schönheit ihrer Sprache, ihre beispiellos elegante Klarheit wirklich lesbar macht. Angelika Beck, die den zu Austens Lebzeiten nicht veröffentlichten ersten Roman, Lady Susan, für Suhrkamp übertragen hat, bietet das weitaus beste Ergebnis aller bisherigen Versuche: nicht ganz ohne Umständlichkeit, in der Logik aber vollkommen, bildet sie die komplexe Struktur der Sprache Jane Austens, die Gedankenführung very english repräsentiert (schon aller Schlacken bereinigt, allein in der länglich-verschachtelnden Form dem Fortgang des Denkens Rechnung tragend), genau und ehrlich ab.

Lady Susan ist ein Briefroman, dem Frühwerk zugerechnet. Jane Austen, die sich zum Lesen viel Zeit nehmen durfte, hat von dem bewunderten Richardson viel gelernt; sie beherrscht die Form (auf die sie nie mehr zurückkommen wird) dramaturgisch vollkommen. Der Grund, warum die Austen-Liebhaberin Lady Susan zwar mit Interesse und Spannung, aber ohne größere Beteiligung, nahezu ohne Rührung, gewiß ohne Sentimentalität liest, liegt in einer diskreten Enttäuschung: die Heldin ist keine Identifikationsfigur.

Anders als alle anderen Protagonistinnen von Jungfer Jane ist Lady Susan kein junges Mädchen an „der Schwelle zur Ehe“ (die niemals ein Fehltritt ist, weil die Damen Verstand und Gefühl mit unterschiedlichen, aber immer passenden Gewichten zu vereinbaren wissen), sondern ein beast, das Joan Collins als Ideal gelten dürfte, eine perfekte Intrigantin, der es gelingt, Frauen und Männer gleichermaßen für ihre niedrigen Ziele einzuspannen (als da sind für die protestantisch gesonnene, wenn auch nicht fromme Autorin: Kalkül, Besitzgier, Machtstreben und verdeckte Gefühle). Lady Susan, früh verwitwet, versucht, ihrer jungen Tochter — statt ihr Erziehung angedeihen zu lassen — einen möglichen Bräutigam auszuspannen, und schlimmer noch: sie hat diesen für sich erkoren und setzt alle Hebel der Sprache und der Handlung in Bewegung, das unschuldige Wesen mit einem Manne zu verkuppeln, der demselben zutiefst (und selbstverständlich zu Recht) zuwider ist.

Natürlich verliert das Biest den Kampf, in jeder Hinsicht: in einem merkwürdig wenig passenden humoristischen Appendix, der als Abspann gelten soll (und die Unzufriedenheit der noch unfertigen Autorin mit ihrem Werk verrät, damit die hohen Maßstäbe unausgesprochen kenntlich macht, welche die Leserin Austen an ihre eigenen Romane stellt), wird der Protagonistin bescheinigt, daß sie, so oder so, ihr Glück nicht finden kann, da ihr die eigne Schlechtigkeit im Wege steht. Es genügt also nicht, mit Kant für die größte Sünde zu halten, einen anderen Menschen zum Mittel zu machen, statt ihn als Zweck gelten zu lassen: die irdische Welt schon muß für Gerechtigkeit sorgen, indem, wer das höchste Gebot verrät, damit nicht glücklich werden darf. Später verfuhr die Autorin etwas lässiger mit den Bösewichten; schließlich vollzieht sich auch in ihrem Werk ein Fortschritt von der Unschuld ins Bewußtsein: in Emma zum Beispiel steht nicht mehr die Intrigantin zur Debatte, sondern eine Protagonistin, die halb oder gar unbewußt die Kantische Regel verletzt. Der bösartige Charakter hat an Interesse verloren; für psychologisch ernst zu nehmende Prosa ist die Bewußtwerdung der Mangelhaftigkeit des Charakters, der unbewußten Täuschungen seiner selbst und der anderen vornehmste Aufgabe der Aufklärung geworden.

Soweit zu Lady Jane (der ein Nachwort zu dieser Ausgabe durchaus nicht geschadet hätte); noch ein paar Sätze zu George Sands Briefroman Flavie, jetzt erstmals übersetzt vorliegend: you read it with pleasure, aber es bleibt fast nichts zurück. Es gibt Literatur, bei der man die Handlung komplett vergißt, aber ein Bild erinnert, eine Farbe, bei manchen erinnert man eine Person, vielleicht auch nur ein Profil, bei anderen einen Konflikt. Selten bleibt Lektüre ganz folgenlos und doch eine angenehme Erinnerung; das ist hier der Fall. Das Angenehme der Erinnerung hat mit der beeindruckenden Eleganz der Sprache zu tun, deren deutsche Rettung die Leserin Joachim Schultz verdankt: leicht und mit Charme wird in den Briefen gedacht und geschrieben, souverän aufs Übliche verzichtet: „Lage und Umgebung“, schreibt die Heldin Flavie aus der Toscana an ihre beste Freundin, „sind, was man als unendlich malerisch bezeichnet. Du weißt, wie sehr ich Beschreibungen verabscheue. Schlag einen Italienführer auf, und Du wirst mehr wissen als ich.“

Die Schwäche der Erinnerung hat mit der Ambivalenz der Autorin zu tun, was ihre Heldin betrifft: Einerseits ist Flavie nicht ohne beastige Seiten („Unter uns gesagt: wenn ich kokett wäre, würde ich sie ganz schön in Wut bringen, denn der Marquis ist mir gegenüber zuvorkommend, ja fast schon liebevoll. Aber ich dulde das nur in dem Maße, wie es nötig ist, um seine etwas einfältige bessere Hälfte ein wenig zu ärgern.“). Andererseits läßt sich diese junge Dame der besseren Gesellschaft, mit nichts als den Hoffnungen auf einen schönen und liebevollen und reichen Ehemann belastet, auf einen Schmetterlingsforscher ein, einen Mann ohne Handschuhe und Manieren, aber mit Geist und Überzeugungen. Der Forscher macht ihr keine Komplimente, ist begeistert allein von der Wissenschaft und reizt das flüchtige Geschöpf, seinen klugen Kopf fürs Höhere einzusetzen. Flavie geht aufs Ganze, setzt sich in Widerspruch zu aller Konvention und macht dem Manne einen Antrag, verbunden mit der Mitgift, von der ihren zum Wohle der Wissenschaften hemmungslosen Gebrauch zu machen: „Dann nahm er meine Hand, küßte sie und sagte: ,Würden Sie mir bitte eine Stunde Bedenkzeit geben?'... Darauf war ich nicht gefaßt!“

Zur Überraschung der Leserin und natürlich der selbstbewußten Hauptperson verzichtet der Begehrte darauf, sich Charme und Geld zu ergeben und hält eine kleine Ansprache, die dem Bewußtsein der Mangelhaftigkeit des menschlichen Charakters aufs ordentlichste Ausdruck gibt: „Wenn ich vom Maximum ausgehe, dann wären Sie drei Monate lang innerlich stolz auf Ihre Ergebenheit; dann kämen drei Monate der Freigiebigkeit, der Geduld und der Resignation; dann drei weitere Monate voller Ärger, Entsetzen, Umtriebigkeit und Ungewißheit; und für den Rest Ihres Lebens Aufbegehren, Rache und Verzweiflung.“ Die Selbsttäuschung des guten Willens, scheint Sand uns sagen zu wollen, ist keine solide Grundlage der Liebe: um so erstaunlicher mutet der Schluß des kleinen Briefromans an, in dem die exzentrische Heldin ihrer Freundin mitteilt, einen braven Ehemann („eine gute Stellung... einen liebenswerten Charakter... und sehr viel Herz“) gefunden zu haben: mit diesem verabschiedet sie nun den Traum vom Unmöglichen und gibt sich statt dessen der Selbsttäuschung hin, der gute Wille zur Konvention sei dem zur Abweichung überlegen.

Jane Austen: Lady Susan

Ein Briefroman; aus dem Englischen von Angelika Beck. Insel Verlag, Taschenbuch, DM 16

George Sand: Flavie

Ein Briefroman; aus dem Französischen von Joachim Schultz unter Mitwirkung eine Gruppe Bayreuther Studentinnen. Mit einem Nachwort von Gisela Schlientz.

ars vivendi Verlag, geb., DM 28