Aalzucht als lukratives Bauernlegen

Landwirte werden mit hohen Gewinnaussichten geprellt/ Westfirmen machen Profit in den neuen Bundesländern Experten warnen vor Intensivhaltung von Aalen in Kreislaufanlagen/ Existenznöte in Sachsen und Mecklenburg ausgenutzt  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Sie ringeln und schlängeln sich im Wasserbassin, schwarz, schleimig und ungefähr zwanzig Zentimeter lang. Am besten schmecken sie frisch geräuchert. Bauer Christian H. hält sie auf seinem Hof an einem See im Norden der neuen Bundesländer. Er ist nicht gut auf seine Aale zu sprechen und fühlt sich betrogen. In den Ländern östlich der Elbe mit ihrer darniederliegenden Landwirtschaft schwimmen die Haie in Sachen Fisch oben. Mit unlauteren Versprechungen und Betrug sind einige Firmen auf Köderfang, die den Bauern goldene Berge verheißen, wenn sie ihre Schweine- und Rindermastanlagen ausräumen und statt dessen auf die Fischzucht umsteigen. Christian H. ist ruiniert. Er ist, wie etliche seiner Kollegen in den letzten zwei Jahren in den neuen Bundesländern, auf das Angebot einer Firma für „Kreislaufanlagen“ hereingefallen, hat hohe Kredite aufgenommen, sein Häuschen mit einer Hypothek belastet und gehofft, so Milchquoten und Flächenstillegungsprogrammen eine in der Zukunft einnahmeträchtige Alternative entgegensetzen zu können. Aale waren in seinem Land schließlich etwas Besonderes, schwer und nur „schwarz unter dem Ladentisch“ oder in Nobelhotels zu bekommen. Und das, was der Vertreter ihm vorrechnete, hörte sich auch gar zu verlockend an. Teuer war das schon, so eine Anlage für 250.000 Mark. Dazu kamen noch einmal über 50.000 Mark für den Besatz mit Fischbrut, kleinen Glasaalen aus Frankreich.

Erfahrung hatte Christian H. nicht, aber, das versicherte ihm der Vertreter, er werde es schon lernen. Das hat er — und Lehrgeld gezahlt. Der Bauer ist über beide Ohren verschuldet, fürchtet, daß ihm die Bank das Haus pfändet und sitzt auf seinen Aalen, die er nur weit unter den Herstellungskosten von rund 13 Mark pro Kilo verkaufen kann. Wer sollte sie ihm auch abnehmen? Aale werden in die Bundesrepublik vor allem aus Italien, Australien und den USA importiert. Die ideale Wassertemperatur für Aale liegt bei 26 Grad Celsius. Die überseeischen Importe stammen aus Wildfängen und sind mit sieben bis zehn Mark pro Kilo wesentlich billiger.

Die Geschäfte mit Fischzuchtanlagen sind nicht immer Betrug. Aber etliche Firmen bewegen sich in einer Grauzone, in der die Gutgläubigkeit der Kunden ebenso ausgenutzt wird, wie die zu erwartenden Erfolgsbilanzen geschönt werden. Gerhard Martin vom Landwirtschaftsministerium in Schwerin kennt seine Pappenheimer. Namen will er nicht nennen. Er hatte schon genug Ärger mit der Branche. Selbst erfahren in der Fischzucht, warnte er potentielle Käufer vorab mit einer Presseerklärung. Als das nichts nutzte, verschickte er ein Rundschreiben an die Banken und riet, Kredite für solche Unternehmen erst nach akribischer Prüfung der Erfolgsaussichten zu vergeben. Das brachte ihm nicht nur Drohbriefe der Hersteller ein, sondern auch einen Rüffel der Vorgesetzten wegen unerlaubter „Beratertätigkeit“. Er weiß, daß sich die Anlagen in den letzten „fünf bis zehn Jahren“ zwar „erheblich verbessert“ haben, aber dennoch in den meisten Fällen „einfach zu teuer“ und die Betriebskosten zu hoch sind.

Außerdem sind Aale anspruchsvoll. Sie brauchen warmes, sauberes, sauerstoffhaltiges Wasser, fressen im Jugendalter teuren Dorschrogen, wachsen langsam und noch dazu, eine zoologische Eigenwilligkeit, sehr unterschiedlich. Das Gros des Besatzes entwickelt sich zu Männchen, die, im Gegensatz zu den Weibchen, von Natur aus wesentlich kleiner sind. Um die Verkaufs- und Fütterungsmengen kalkulierbar zu machen, müssen sie ständig sortiert und nach Größe in verschiedene Becken umgesetzt werden. Auch sind sie anfällig für Krankheiten und Parasiten, was wiederum Kosten verursacht.

Ähnliche Erfahrungen hat Fischerei-Referent Hohlstein in Thüringen. Er ist stolz darauf, daß in seinem Bundesland keine einzige Aal- Anlage steht: „Wir haben hier rechtzeitig vor den Gefahren und Problemen gewarnt.“ Anders ist das im Nachbarland Sachsen. Mindestens „zehn bis zwölf Leute“, weiß ein Insider, „sind hier schon geprellt worden“. Gerade nach der Wende habe sich „das mit den Aalen“ angehört „wie ein Märchen“. Aber statt auf einem Topf voll Gold sitzen die Züchter jetzt auf ihren Aalen. Außerdem sind die Farmaale für den hiesigen Geschmack zu klein. Auch wer selbst räuchert und vermarktet, kann sich auf den vorgerechneten Gewinn nicht verlassen, weil die tückischen Tiere in der Räucherkammer rund 30 Prozent ihres Gewichts verlieren. Der Diplom-Biologe Harald Koops spottet über das Produkt, für das es vor Ort keine Abnehmer gibt, dessen Transport zu den Holländern, denen die Winzlinge schmecken, bei ohnehin überlaufenem Markt zu teuer wäre: „Haben Sie schon mal 100 kg kleine Aale getötet, entschleimt, geschlachtet, gesäubert, gesalzen, geräuchert und verkauft? Nein? Vielleicht sollten Sie vorher einen Räucherkurs besuchen.“ Zudem verlangt auch noch die Gewerbeaufsicht gesonderte Schlacht- und Verkaufsräume.

Im Westen hatten Experten schon seit vielen Jahren auf Fischerei-Tagen und in Fachzeitschriften vor der Aalzucht gewarnt. Das Bundesministerium für Landwirtschaft veröffentlichte allerdings erst 1991 eine Broschüre, in der Staatssekretär Walter Kittel sich einer „gewissen Euphorie früherer Jahre“ erinnert. Der Vorsitzende der entsprechenden Beratungsgruppe rechnet vor, daß der „angestrebte Gewinn häufig unrealistisch“ sei. Das ändere sich auch nicht, wenn solche Projekte staatlich und mit EG-Geld gefördert werden. Er stellt fest: „Durch die eingesetzten öffentlichen Mittel können Interessenten zu einem unsicheren Vorhaben verleitet und somit geradezu in den Ruin gebracht werden.“ Der Autor der Bundes-Broschüre, Harald Koops, widmet sich auch den Tricks der Firmen, in deren Kalkulation aus dem Großhandelspreis für Lebend- Aal von 15 Mark pro Kilo „leicht ein Kleinhandelspreis von 70 Mark“ für Räucheraal werde. Währenddessen ist ein anderer Landwirt in Norddeutschland noch verzweifelter als Christian H., der „noch weiterwursteln“ will. Er hat fast eine Million Mark investiert und „noch nicht einmal zehn Prozent des versprochenen Gewinnes“ erwirtschaftet. Und die Repräsentanten der unseriösen Firmen reisen weiter durch die neuen Bundesländer auf Kundenfang. Kenner wissen: „Das sind vor allem die, die öfter mal ihren Sitz und den Namen wechseln.“