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Vorentscheid über Spaltung der CSFR

■ Mit der Wahl fällt auch eine Vorentscheidung über den gemeinsamen Staat. Die vermutlichen Wahlsieger in der Slowakei streben eine Konföderation an.

Vorentscheid über Spaltung der CSFR Mit der Wahl fällt auch eine Vorentscheidung über den gemeinsamen Staat. Die vermutlichen Wahlsieger in der Slowakei streben eine Konföderation an.

AUS PRAG SABINE HERRE

Vladimir Meciar macht sich rar. Kaum eine Fernseh- Talk-Show, kaum ein Interview einer tschechischen Zeitung, zu dem der 49jährige Ex-Ministerpräsident der Slowakei seine Zusage gibt. Aus Prag kommende Anrufe werden von seinem Sekretariat abgewimmelt, Herr Meciar sei „in Kur“ oder habe „gerade seinen freien Tag“. Statt dessen reist der untersetzte Mann, der allein durch sein äußeres Erscheinungsbild an die Funktionäre vergangener Zeiten erinnert, durch die Slowakei: Im schlecht sitzenden Anzug, leicht verschwitzt, wirkt er bei seinen unzähligen Wahlkampfauftritten so, als hätte er sich gerade noch den Schaum des letzten Bieres mit dem Handrücken vom Mund gewischt.

Doch die SlowakInnen wissen dies zu schätzen. Gerade weil Meciar nicht im eleganten Zweireiher der nachrevolutionären Prager Politmanager auftritt, trauen sie ihm zu, tatsächlich das Interesse der Slowakei im Auge zu haben. Da ist es dann auch schon ganz egal, welches Programm Meciar verkündet. „Denn selbst“, so eine Gegnerin des charismatischen Politikers ernüchtert, „wenn er nach den Wahlen das genaue Gegenteil von dem tut, was er vorher versprochen hat, die Slowaken blieben ihm treu.“ Und nur so läßt sich auch ein anderes slowakisches Paradox erklären: Obwohl die Mehrheit der SlowakInnen weiterhin für einen gemeinsamen Staat der Tschechen und Slowaken ist, wollen zugleich 34 Prozent Meciars „Bewegung für eine demokratische Slowakei“ (HZDS) wählen. Die Partei, in der sich Wendekommunisten und unabhängige Linke zusammengefunden haben, hat an ihrem Ziel, die tschechoslowakische Föderation in eine Konföderation umwandeln zu wollen, in den vergangenen Wochen immer weniger Zweifel gelassen.

Wichtiger als die Frage einer „unabhängigen Republik“ sind jedoch — Umfragen zufolge — selbst für die BürgerInnen der Slowakei die Folgen des Umbaus des Wirtschaftssytems. Und vor allem hier kann Meciar wichtige Punkte sammeln. Während die Prager Bundesregierung, allen voran Finanzminister Vaclav Klaus, nahezu jeden Eingriff des Staates in das „freie Spiel“ der marktwirtschaftlichen Kräfte entschieden ablehnt, fordert in der Slowakei ein breites Spektrum aus ex- kommunistischen, sozialdemokratischen und nationalistischen Parteien eine Verlangsamung der „Schocktherapie“. Da die Prager Wirtschaftsreformen den östlichen Landesteil weitaus stärker als den westlichen in Mitleidenschaft ziehen, sind sie der Ansicht, daß allein die slowakische Regierung über die Belange der „nationalen Wirtschaft“ zu entscheiden hat.

Und so gründet sich die Distanz, die Meciar zur Hauptstadt der CSFR hält, nicht allein auf der Furcht vor der Auseinandersetzung mit den Prager Intellektuellen, die den ehemaligen Amateurboxer zumindest einmal ideologisch entwaffneten. Vielmehr zeigt sich hier das taktische Gespür eines zukünftigen Wahlsiegers: Dieser weiß nur zu genau, daß die Zahl seiner Anhänger besonders dann spunghaft wächst, wenn er die „Prager Zentralisten“ durch seine permanente Absenz kräftig vor den Kopf stößt.

Doch die Prager revanchieren sich. Da Meciar das „Phänomen“ ist, das „die Tschechoslowakei zerschlagen und die Wirtschaftsreformen beenden will“, führen viele tschechische Journalisten ihren privaten Kleinkrieg gegen den verhaßten Slowaken. Mit unzähligen Artikeln über Meciars angebliche Tätigkeit beim Staatssicherheitsdienst versuchten sie, seine politische Karriere zu beenden. Nahezu jeder Prager Passant ist heute der Ansicht, daß bei einem Wahlerfolg Meciars „die Demokratie in Gefahr“ sei. Selbst Vaclav Havel sah sich veranlaßt zu warnen: Die Vorstellungen, die Meciar über die verfassungsmäßige Entwicklung der Slowakei habe, seien alles andere als verfassungsgemäß. Und tatsächlich: wiederholt hatte der Oppositionsführer festgestellt, daß nach seinem Wahlsieg das Parlament in Bratislava nicht nur eine „Souveränitätserklärung“ der Slowakei, sondern auch eine slowakische Verfassung verabschieden würde. Dadurch, so Meciar, würde die tschechoslowakische Verfassung außer Kraft gesetzt. Ob dies aber auch gleichzeitig das politische Ende der CSFR sein werde, oder ob die HZDS unter bestimmten Bedingungen nicht doch bereit wäre, in die Prager Bundesregierung einzutreten, dazu hat sich der geschickte Machtpolitiker bisher nicht geäußert. Zweifel an seinem Demokratieverständnis scheinen jedoch angebracht: Erst nachdem die HZDS die genannten Ziele im Parlament durchgesetzt hat, sollen die SlowakInnen die Möglichkeit erhalten, in einem Referendum über die zukünftige Verbindung mit der Tschechischen Republik abzustimmen.

Zu diesen Vorstellungen hat in Prag bisher allein die konservative „Bürgerlich-demokratische Allianz“ (ODA) von Wirtschaftsminister Vladimir Dlouhy eindeutig Position bezogen. Sie sei nicht bereit, mit der HZDS in eine Föderalregierung einzutreten, ihr sei die „Wirtschaftsreform wichtiger als der Erhalt des gemeinsamen Staates“. Und so könnte die Tschechoslowakei nicht nur von den „linken Nationalisten“ der Slowakei, sondern auch von den tschechischen Konservativen zerschlagen werden. Denn der föderative Staat besteht nun einmal aus zwei Teilrepubliken, die Föderalregierung muß von slowakischen und tschechischen Parteien gebildet werden. Konkret heißt das: da in der Tschechischen Republik ein breites „liberal-konservatives“ Bündnis unter Führung von Vaclav Klaus und seiner „Bürgerlich-demokratischen Partei“ (ODS) die Wahlen mit circa 40 Prozent gewinnen dürfte, muß der bisherige Finanzminister mit den ex- kommunistischen und nationalistischen Gruppierungen, die in der Slowakei auf rund 50 Prozent der Stimmen kommen werden, eine Regierung bilden. Genau aus diesem Grund hat Vaclav Klaus sich in seiner Verurteilung der HZDS bisher eher zurückgehalten. Statt dessen sucht er mit Meciar nach einem Kompromiß, der beide Politiker zufriedenstellen könnte. Die letzte Neuigkeit der Prager Gerüchteküche: Klaus soll Meciar das Amt des tschechoslowakischen Präsidenten und damit die Nachfolge von Vaclav Havel angeboten haben.

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