Eine Volksentscheidung auch in Deutschland?

„Weiter so“ lautet die Parole unter den Bonner Regierungsparteien trotz des dänischen Votums gegen die Maastricht-Verträge/ In der SPD mehren sich die Stimmen für einen Volksentscheid in Deutschland  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Soll auch in Deutschland das Volk entscheiden? Am zweiten Tag nach der dänischen Entscheidung findet diese Idee auch im verwirrten Bonn eine wachsende Anhängerschaft. Während das Regierungslager Durchhalteparolen ausgibt und hinter großen Worten versteckt, daß man eigentlich so recht nicht weiß, wie es nun weitergehen soll, gestattet sich die staatstragende Opposition die eine oder andere unorthodoxe Bemerkung.

Als allererster Politiker hatte der ehemalige Außenminister allen Deutschen bereits Mittwoch früh via Rundfunk zugehen lassen, daß es nun darauf ankäme, weiterzumachen und den Ratifizierungfahrplan einzuhalten. Für die Dänen, so Genscher, solle die Option offenbleiben — was immer das auch heißen mag. Der Vorlage des Meisters folgten alle brav. Regierungssprecher Vogel für die ganze Koalition: „Jetzt erst recht.“ Der amtierende Außeminister fand die dänische Entscheidung zwar „traurig für Europa“. Klaus Kinkel gab sich jedoch zuversichtlich, daß die restlichen elf, zumal die Bundesrepublik, am „Fahrplan zur euopäischen Union“ festhalten. Für Dänemark müsse die Tür offenbleiben. Desgleichen der Kanzler in einer gemeinsamen Erklärung mit dem anderen großen Europäer Mitterrand: Sie bleiben „konsequent und unbeirrt“. Auch SPD-Chef Björn Engholm erklärte: „Der Ratifizierungsprozeß muß weitergehen.“ Und fügte hinzu, was die SPD stets anmerkt, wenn von Maastricht die Rede ist, daß Europa nämlich demokratischer werden muß. Nur wenige Abweichler aus der SPD forderten Vertragsänderungen und neue Verhandlungen.

Ein Thema wurde allerdings von den Koalitionspolitikern ganz, von der SPD halb gemieden. Daß das dänische Nein von der Stimmungslage in der Bundesrepublik so ganz weit nicht entfernt ist, darüber wollten Union und FDP in dieser Stunde lieber gar nicht reden. Und der SPD-Chef formulierte vermutlich fromme Wünsche, als er schrieb, daß er die dänische Entscheidung als einen „Warnruf gegen ein Europa ohne ausreichende Rechte für das Parlament“ versteht. In das untergründige deutsche Gebrodel hat sich womöglich die 'Bild‘-Zeitung besser eingefühlt, als sie gestern hoffnungsvoll fragte: „Hat das kleine Dänemark unsere Mark gerettet?“ Vielleicht verzerrt, in jeden Fall aber niederschmetternd war das Ergebnis der Zuschaueranrufe im Ersten Deutschen Fernsehen. Über achtzig Prozent bekannten sich als anti-europäisch.

Was tun, damit diese Stimmung nicht verstärkt wird? Der Kanzler suchte die Flucht nach vorn in noch größere Worten. Es wäre der größte Fehler, angesichts der Größe der Aufgaben zu resignieren. Und ein „historisches Versagen“, wenn „wir in diesem Augenblick, da sich die ganze Hoffnung unserer Nachbarn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa auf uns richtet, den Weg zur Europäischen Union verlangsamen oder gar abbrechen würden.“ Wohl wahr, aber wird das die skeptischen Bürger überzeugen? Sozialdemokratische Politiker machten ein anderes Angebot. „Der Verdruß über Europa kommt zum guten Teil aus der bisherigen Geheimdiplomatie der Regierungen“, befindet SPD-Europasprecherin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Da liegt die Forderung nahe, daß die Regierungen mit der Geheimdiplomatie aufhören, eben bessere Politik machen sollten — Wiezcorek-Zeul plädiert hingegen für Volksentscheid. Vage erklärte sich auch der frühere SPD-Vorsitzende Vogel für ein Referendum über Maastricht, wie überhaupt dafür, Volksabstimmungen in der Verfassung zu verankern. Und weil auch in der Bundesrepublik viele Menschen „die EG als lebensferne Bürokratie“ erlebten, will auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Rudolf Scharping dem Übel dadurch abhelfen, daß das Volk über den EG-Vertrag abstimmt. Ob die EG-Bürokratie danach lebensnäher ist? Es bleiben Zweifel.