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■ LOKALTERMINOase im Wedding

Oase im Wedding

König Friedrich I. soll einst furchtbaren Durst gehabt und diesen im Dörfchen Weddinge gestillt haben. Begeistert über den guten Geschmack, beauftragte er seinen Hofapotheker Dr. Behm mit der Analyse des Brunnenwassers — schon bald begann der Ausbau des »Gesundbrunnen« zum Bade- und Kurort.

Was ließe sich 1992 bei Sommersmog und schwüler Luft Schlaueres empfehlen, als es dem Monarchen bald 300 Jahre später gleich zu tun, sich am Gesundbrunnen ein hübsches Plätzchen zu suchen und ein herrlich kühles Getränk reichen zu lassen? Auch wenn der Gesundbrunnen nun durch den U-Bahn- und S- Bahnhof repräsentiert, der Hofapotheker durch die Kleine Behmstraße ersetzt ist, so findet sich doch im Norden Berlins eine Oase besonderer Art: das »White Wedding«.

Ein bunt gemischtes Publikum versammelt sich allabendlich an den Tischen oder der langen Theke; wer sich nicht entscheiden kann, setzt sich auf Barhockern an einen der beiden gigantischen Klötze, von der Bedienung schlicht Elefantentische genannt. Zwei Billardtische laden zum Versenken roter und gelber Kugeln ein, und überall können sich die Gäste das erstklassig gezapfte Pils durch die trockene Kehle rinnen lassen: Beck's und Veltins sind stets vom Faß zu haben, mit 4,50 und 5 Mark für den halben Liter auch durchaus bezahlbar. Neben den üblichen Drinks und Cocktails gibt es acht Weinsorten, 0,2 Liter ab 4,50 Mark, und wer unbedingt möchte, bekommt für 2,50 Mark ein Glas heißer Milch mit Honig.

Während sich vor der Kneipe der Bezirk Wedding in seiner Vielseitigkeit von großen Grünflächen bis zu städtebaulicher Scheußlichkeit bestaunen läßt, liegt hinter dem Haus die eigentliche Oase: der Garten. Weitgehend abgeschirmt vom aggressiven Verkehr, sorgen kleine Bäume und verschiedenste Pflanzen für angenehme Kühle, ein plätschernder Teich bietet den Ohren eine Alternative zu den verbleibenden Umweltgeräuschen, den Augen eine Abwechslung vom sonstigen Grau der Stadt. Abends zieht herzhafter Duft durch die lauschigen Gartenecken, wenn Moritz seinen Grill anheizt: Dann gibt es außer Salaten und der heißen Folienkartoffel auch preiswerte Fleischgerichte, zum Beispiel drei Lammkotelettes für 9,50 Mark.

Untrennbar zum White Wedding gehört fraglos auch sein Frühstück: Ab 6,70 Mark läßt sich vorzüglich tafeln, bereits das »Kleine« läßt viele scheitern. Randvoll ist der Tisch, wenn das »Grosse« mit dem beinahe legendären Eiweißschock (probieren!) oder gar das Lachs-und-Sekt- Frühstück »Schicki-Micki« serviert wird. Liebevoll angerichtet und mit einem buntglitzernden Schirmchen dekoriert, ist das Frühstück nicht nur eine kulinarische, sondern auch optische Freude.

Zudem ist die Stimmung nett im White Wedding, was auch die Bedienungen genießen. »Hier gefällt's mir«, sagt zum Beispiel Winnie, die den lockeren Umgang von Service und Gästen schätzt. »Das ist meine Kneipe«, wußte Amina, als sie nach dem Abitur im White Wedding zu jobben begann: »Mir gefällt einfach alles, vor allem das gemischte Publikum, zu dem Schüler wie Rentner gehören, halt alle möglichen Leute, auch Behinderte«.

Mittlerweile ist das White Wedding in der Tat ihre Kneipe: Seit dem 1. Mai ist die 23jährige Amina Al- Najjar Pächterin ihres »Traum-Ladens«. Doch leider ist in zweieinhalb Jahren Schluß, befürchtet Amina. Der S-Bahnhof solle ausgebaut werden, Flachbauten wie das White Wedding müssen dem weichen. Was Friedrich I. dazu sagen würde?

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