P — wie »positiv«

■ Die Shakespeare-Initiative Treptow spielt Alan Bownes Aids-Kitsch »Beirut« im Kulturhaus Puschkinallee

Ein drei Meter hoher Drahtzaun umschließt den Bühnenraum in Form eines Tortenstücks, das den Theatersaal auf ganzer Breite teilt. Einfach gezimmerte Zuschauertribünen erheben sich steil zu beiden Seiten des Käfigs. Sie geben den Blick frei auf eine karge Arrestzelle. Unten liegt einer auf der Pritsche und atmet heftig. Durch das vergitterte Fenster scheint die künstliche Morgensonne: die dem Schick amerikanischer Gefängnisfilme nachempfundenen Bühnenbauten wollen betroffen machen. Keiner kommt hier lebend raus — die Protagonisten in der Arena ebensowenig wie das zwischen den schmalen Sitzen eingekeilte Publikum.

Torch schreckt aus unruhigem Schlaf hoch. Er weiß, daß sein Alptraum Wirklichkeit ist: eingesperrt in Beirut, dem Ghetto der Aussätzigen von New York, glaubt er sein Leben beendet. Seitdem eine Seuche ohne Namen grassiert, wird die Lower East Side, ehemals Szeneviertel der siechen Metropole, wie die Stadt im Libanon genannt. Hinein kommt, wer das maschinenlesbare P — es steht für »positiv« — auf der Hinterbacke trägt. Den Rest der Welt kennzeichnet ein N auf dem Gesäß.

Manche, die in Beirut leben müssen, geben sich — illusionslos — körperlicher Freude hin, bis ihre sexuell übertragbare Krankheit sichtbar wird. Die Schwachen werden von Ekzemkontrolleuren aussortiert, die das unbrauchbar gewordene Menschenmaterial auf den Straßen Manhattans sterben lassen. So einfach, wie sich der amerikanische Autor Bowne das Verhalten der Todgeweihten vorstellt, sieht seine Vorstellung von »Beirut« aus. Im Ghetto wie in der orientalischen Metropole gilt gleichermaßen das Gesetz des Stärkeren.

Nur Torch, der schnaufende Held, scheint mit menschlichen Werten zu hadern, bis eine Frau zwischen zwei Ekzemkontrollen in dieses Setting einbricht. Blue, die Freundin des jungen Machos, läßt Torchs mühsam aufrechterhaltene Selbstbeherrschung zusammenklappen. Bisher hatte er geglaubt, sein Leben wäre mit positivem Testergebnis zu Ende. Doch nun fordert Blue, die die bewachten Sperren zum Ghetto überwunden hat, das Zusammenleben mit ihm. Für sie, die Gesunde, ist das reglementierte Leben in der Außenwelt sinnlos geworden: sexuelle Kontakte sind verboten, Kinos und Schönheitssalons gibt es nicht mehr, und wöchentliche Bluttests am Arbeitsplatz sind normal.

Die beiden Protagonisten umkreisen einander und erforschen den Spielraum, der ihnen die Angst vor der Krankheit, den »Millionen Insekten« in Torchs Körper, läßt. Beinahe schlafen sie miteinander, und als Torch sich samariterhaft zurückzieht, um Blues Gesundheit nicht zu gefährden, wird klar, daß er die Krankheit benutzt, um sich dem Wunsch nach Nähe seiner Partnerin nicht auszusetzen.

Lavinia Reinke und Andreas Wrosch hadern mit der plakativen und schnoddrigen Sprache der Textvorlage. Die mäßige Übersetzung einer mäßigen englischsprachigen Vorlage wirkt über weite Strecken unglaubwürdig. Regisseur Rüdiger Meinel fehlte offenbar der Mut, das klischeehafte amerikanische Rührstück durch eine Verlegung etwa nach Berlin-Kreuzberg zu retten.

Auch das Programmheft ist eine Zumutung. Außer zwei saftigen Zitaten in unbeholfenem Deutsch (»Ich will dich so sehr, daß mich der Tod total am Arsch lecken kann.«) findet sich neben Werbung nur ein Prosastück über die Lepra-Epidemie auf Hawaii.

Die Gelegenheit vorzuzeigen, wie eine Krankheit die Beziehungen von Menschen untereinander deformiert und Staatsbürger willfährig gegenüber Kontrollen macht, wird durch das Gestammel der Schauspieler vergeben. Die wenigen dramatisch dichten Momente, etwa als Blue Torchs Beziehungsunwilligkeit entdeckt, retten die rund sechzigminütige Aufführung nicht. Stefan Gerhard

Beirut von Alan Bowne ist noch bis zum 5. Juli jeweils von Do. bis So. um 20.30 Uhr im ehemaligen Kreiskulturhaus Treptow, Puschkinallee 5, zu erleben.