Der Täter lauert im Dachstuhl

■ In Frankfurt stehen die Holzschutzmittelfabrikanten vor Gericht, in Berlin hat ein am »Holzschutzmittelsyndrom« erkrankter Rentner bereits den Prozeß gegen seinen Vermieter verloren

»Eigentlich sollte ich ins Krankenhaus. Aber vorher müßte das Bundesgesundheitsamt in meine Wohnung einziehen.« Diese mit einem verschmitzten Flunkern in den Augen vorgetragene Aussage des Alfred Menzel enthält mehr Rachlust, als die eher harmlosen Worte vermuten lassen: das Leben in den Räumen in der Reuterstraße 99 war für den 72-jährigen zuletzt die Vorstufe zur Hölle geworden.

Das Unglück nahm im Sommer 87 seinen Lauf, als der Dachstuhl des Mietshauses in Neukölln saniert und dabei große Mengen Holzschutzmittel auf das Gebälk versprüht wurden. Noch vor Ablauf eines Jahres litt Familie Menzel an Symptomen, deren Ursache — und da sind sie sich mittlerweile ganz sicher — die eingeatmeten Ausdünstungen des Holzgiftes sind. In einem über ein Jahr währenden Prozeß, den der Vermieter des Rentners wegen unterlassener Mietzahlung gegen diesen angestrengt hatte, erging jetzt ein Urteil — in weiten Teilen zu Gunsten des Klägers. Statt ein Schmerzensgeld für erlittene körperliche Einschränkungen zu erhalten, steht der pensionierte Taxifahrer jetzt mit etwa 40.000 DM in der Kreide, neben den Mietnachzahlungen vor allen Dingen Kosten für diverse Sachverständigengutachten.

Ab Frühjahr 88 sucht Herr Menzel immer häufiger seinen Hausarzt auf, weil sein Körper plötzlich verrückt zu spielen scheint. Schlafstörungen, Ekzeme und vor allem eine Sehstörung, die mit einer Augenoperation nicht in den Griff zu bekommen ist, machen ihm das Leben schwer. Frau Menzel klagt über Durchfall und Brechreiz, während der kleine Enkel, der die Woche über bei seinen Großeltern lebt, von einer chronischen Bronchitis und Ausschlägen geplagt wird. Besuche bei den Töchtern in Bayern und Norddeutschland machen die Menzels stutzig: »Die Beschwerden waren nach kürzester Zeit wie weggeblasen.« Durch Nachbarn und einen Zeitungsartikel geraten die zwei endlich auf die richtige Spur: der frisch imprägnierte Dachstuhl muß schuld sein. Der Verdacht läßt Herrn Menzel keine Ruhe mehr. Unwillig, dem körperlichen Verfall seiner Familie tatenlos zuzusehen, begibt er sich als der Hauptbetroffene auf einen aufreibenden Marsch durch den Ämterdschungel. Verschiedene Expertengutachten beweisen, daß es sich bei dem angewandten Holzschutzmittel um das für Innenräume verbotene Teeröl »Carbonileum« handelt. Desgleichen bestätigen ärztliche Gutachten, unter anderem auch des Bundesgesundheitsamtes, daß es sich bei seinen Symptomen um unter dem »Holzschutzmittelsyndrom« bekannte Irritationen handelt.

Pikanterweise ist der für die Dachstuhlrenovierung verantwortliche Firmenchef ein Mitbewohner des Hauses und Freund des Vermieter. In der Hausgemeinschaft Reuterstraße 99 tun sich Fronten auf. »Die haben mich öffentlich zum Spinner erklärt«, empört sich der 72jährige. Im September 89 zieht Familie Menzel in eine vom Sozialamt bereitgestellte Ersatzwohnung. Weil neben viel Geld für Umbauarbeiten auch das Herz der Eheleute an den 1953 bezogenen Räumen hängt, bleiben sie Mieter, verweigern aber fortan die Mietzahlung. Der Vermieter reagiert mit einer Räumungsklage.

Im nachfolgenden Prozeß wird mit zum Teil widersprüchlichen Gutachten eine Intoxikation der Wohnung durch das im Dachstuhl versprühte Gift für ausgeschlossen erklärt. Ein Schlag ins Gesicht für das Rentnerpaar, das sich jetzt insbesondere vom Bundesgesundheitsamt hängengelassen fühlt. Bestätigte die Behörde im Prozeßverlauf den Verdacht auf das Holzschutzmittelsyndrom, hüllt sie sich angesichts des Urteils in beredtes Schweigen.

Vor einer Woche begann in Frankfurt der wohl größte Umweltprozeß in der Geschichte der Bundesrepublik. Auf der Anklagebank sitzen die Holzschutzmittelproduzenten Desowag Material GmbH und die Firma Sadolin GmbH, aber auch gegen das BGA wird wegen Verdacht auf Körperverletzung ermittelt, weil es seine Funktion als Kontrollbehörde wegen finanzieller Zuwendungen durch die Firmen nicht angemessen erfüllt hat. Ob es da einen Zusammenhang zum Fall Menzel gibt, gilt abzuwarten.

Sein Leiden ist dem Rentner mittlerweile zum Lebenselexier geworden. Mit unermüdlichem Elan fährt er zu bundesweiten Treffen der Interessengemeinschaft der Holzmittelgeschädigten, leitet in Berlin eine Kontaktstelle und rennt mit zwei dicken Aktenordnern durch die Stadt und macht Pressearbeit. Jantje Hannover