KOMMENTAR
: Ein Duce in Brandenburg

■ Diestel und Gysi peilen eine neue Ost-Partei an

Ein Duce in Brandenburg Diestel und Gysi peilen eine neue Ost-Partei an

Wenn da nicht die Sorge wäre vor den aufkommenden chaotischen politischen Verhältnissen, fast könnte einen Schadenfreude ankommen über jene Berufsintriganten aus den alten Bundesländern. Sie wurden den hiesigen übergestülpt wie Kaffeewärmer. Die glücklicheren unter den bedeckten Eingeborenen können gerade noch schnaufen. Wer Pech hat, krepiert. Soll ja, wenn er nicht spurt. So war das auch mit Peter- Michael Diestel geplant, Nachwende-Fraktionsvorsitzender der Brandenburger CDU. Weil der einstige Gründungsvater der DSU wie ein erfahrener Imker das Rauschen im aufgebrachten Brandenburger Bienenschwarm richtig zu deuten wußte und jene so durchsichtige wie lendenlahme Kampagne seiner Partei gegen den Liebling des Volkes Stolpe und dessen Landesverfassung nicht mittrug, mußte er weg — und wird nun als neuer ostdeutscher Prophet eine neue Ost-Partei ins Leben rufen.

Sein erster Auftritt im neuen Gewand gestern abend vor PDS-Veteranen kündigte Großes an. Ganz in schwarz der junge schöne Mann. Wie weiland der Duce. Auch der schaffte zeitweilig den mächtigen Spagat zwischen Rechtsnationalisten und breiten linksorientierten, sozial unterprivilegierten Schichten. Nichts Neues unter deutschen Dächern? Doch! Das Menschenpotential, das Diestel zur Verfügung steht, regelrecht auf ihn wartet, ist einmalig. Zwei Millionen ehemalige SED-Mitglieder, auf denen fast jeder in den vergangenen Jahren so opportunistisch wie instinktlos herumprügeln konnte. Diestel aber prügelte nicht. Die riesige Gruppe der einstigen Sicherheitsorgane, MfS, Grenztruppen, kasernierte Bereitschaftspolizei, sie sind schwerstes Strandgut der Einheit. Als einziger hat Diestel etwas für sie getan. Die abgewickelte Intelligenz, die einstige Regierungsbürokratie, auch ihre Stimmen wird er bekommen. Und da sind noch die Massen entwurzelter Existenzen. Traditionell links gelagert, konnten sie sich bisher nicht für Schönhuber erwärmen. Für Diestel werden sie es. Was bleibt? Ein wieder mal blitzschnell reagierender Gysi, der die verheißungsvolle Allianz erkennt und das Ende der politischen Machtlosigkeit seiner Partei. Die neue Sammlungsbewegung wird mächtig sein. Zu sehr wurden die Menschen im Osten in ihrer Würde verletzt und um die ohnehin bescheidenen Resultate ihres ganzen Lebens gebracht. Diestel ist der Mann, der dieses formuliert. Und dem gegenüber der in Kürze vor Schreck wie wahnsinnig krakeelende Bonner Kapaunen- und Hühnerhof, wie immer kopflos in die falsche Richtung flatternd. Ob der künftige Brandenburger Duce und seine neue Bewegung Bestand haben werden? Wohl kaum. Die großen Fragen unserer Zeit sind nicht mehr traditionell zu lösen. Doch in der Retrospektive waren auch jene zwanzig Duce-Jahre historisch nur eine kurze Zeit. Ihre Schrecken aber ohne Ende. Henning Pawel