Die andere Spur nach Lockerbie

Hat der jetzt festgenommene Drogen- und Waffenhändler Monzer al-Kassar für iranische und palästinensische Hintermänner die Bombe in den Unglücksflieger von Lockerbie geschmuggelt?  ■ Von J. Gottschlich/A. Bauer

Berlin/Madrid (taz) — Auf dem Weg von Wien zu seinem Palast im andalusischen Marbella wurde der syrische Waffenhändler Monzer al- Kassar Mittwoch nacht auf dem Madrider Flughafen Barajas festgenommen. Der Haftbefehl des spanischen Drogenrichters Baltasar Garzon lautet auf Verdacht der Dokumentenfälschung, illegalen Autohandels, illegalen Waffenbesitzes und internationalen Terrorismus. Das Ermittlungsverfahren wurde für einen Monat als geheim erklärt — ein Maßnahme, die verhindert, daß die Verteidiger Einblick in die Akten nehmen können.

Monzer al-Kassar gehört zu den schillerndsten Figuren der internationalen Waffenhändlerszene. Er stammt aus Syrien, ist mit einem der syrischen Geheimdienstchefs Ali Issa Duba verschwägert und mit Präsidentenbruder Rifat Assad befreundet. Monzer al-Kassar betätigt sich an der Schnittstelle von Drogen- und Waffenhandel; angeblich kontrolliert er zusammen mit Rifat Assad die Heroinproduktion aus libanesischem Anbau. Jahrelang war sein Geschäftssitz in Wien. Warum al- Kassar, gegen den diverse internationale Haftbefehle existieren, bislang, kaum behelligt wurde, ist Gegenstand weitreichender Spekulationen, hat aber auf jeden Fall damit zu tun, daß er sich an den richtigen Stellen als nützlicher Kontakt einzubringen wußte. Beispielsweise Anfang der achtziger Jahre, als Oliver North, der Mann, der im Nationalen Sicherheitsrat der USA für den Nachschub der nicaraguanischen Contra zuständig war, jemanden suchte, der im damaligen Ostblock Waffen für seine Schützlinge einkaufen konnte. Monzer al-Kassar war zu Stelle, bekam 1,5 Millionen Dollar aus der schwarzen Kasse und deckte sich unter anderem bei Schalcks IMES mit Waffen für die Contras ein. Aber auch an anderer Stelle wußte al-Kassar sich beliebt zu machen. Während die französische Polizei offiziell nach ihm fahndete, soll er um 1986 herum in Zusammenarbeit mit anderen französischen Regierungsstellen dafür gesorgt haben, daß zwei Geiseln aus Frankreich, die im Dschungel Beiruts gefangen gehalten wurden, wieder frei kamen. Dieser Dienst für Frankreich und wohl auch Gefälligkeiten für die spanische Regierung — angeblich soll al-Kassar mit dafür gesorgt haben, daß Spanien nie Ziel arabischer Terroranschläge wurde — sicherten ihm seinen Wohnsitz an der spanischen Mittelmeerküste. Seine wichtigen Geschäfte aber machte er angeblich weiterhin mit Deckung der CIA. Es gibt ernstzunehmende Hinweise, daß Monzar al-Kassar diese Geschäftsverbindung in einem Fall dazu nutzte, auch noch einem anderen „Herrn“ gefällig zu sein und damit den Tod von 270 Menschen verschuldet zu haben. Nach diesen Quellen soll al-Kassar die Bombe, die den Jumbo „Maid of the Seas“ am 21.Dezember 1988 über dem schottischen Lockerbie zerriß, an Bord geschmuggelt haben. Ermöglicht haben soll ihm dies eben seine CIA- Connection, diesmal im Drogenhandel. Das wenigstens will der Chef einer großen New Yorker Detektei, Juval Aviv, herausgefunden haben, den die Versicherung von PanAm mit der Untersuchung des Falles beauftragt hatte. Juval Aviv trieb einen ehemaligen Agenten der Amerikanischen Antidrogen-Agentur (DEA) auf, der aussagte, DEA und CIA hätten in einer gemeinsamen Aktion unter Mithilfe von al-Kassar versucht, US-Großdealer auffliegen zu lassen. Der Stoff kam von Monzer aus dem Libanon und wurde über Zypern und Frankfurt nach Amerika geschmuggelt. Al-Kassar arbeitete mit der DEA zusammen, die wiederum dafür sorgte, daß der Stoff reibungslos überbracht werden konnte — das Zeug sollte ja in den USA ankommen. Gleichzeitig behauptet Juval Aviv, al-Kassar hätte nach dem Vorbild seiner Frankreich-Aktion mit einer CIA-Gruppe an der möglichen Freilassung amerikanischer Geiseln in Beirut gedreht. Ein wichtiges Kapital für solche Operationen waren al-Kassars Verbindungen in die Palästinenserszene, speziell zur PFLP von Ahmed Jibril und in den Iran.

Beide Seiten hätten 1988 ein wichtiges Anliegen an al-Kassar gehabt. Die Iraner wollten den Abschuß eines ihrer Verkehrsflugzeuge über dem Persischen Golf durch ein US- Schlachtschiff rächen und gleichzeitig gezielt ein amerikanisches Rambo-Kommando ausschalten. Der iranische Geheimdienst war danach einem US-Kommando auf der Spur, das im Alleingang in Beirut US-Geiseln gewaltsam befreien sollten. Angeblich wußten die Iraner, daß die beiden Köpfe des Kommandos mit eben der PanAm Maschine am 21.Dezember über Weihnachten nach Hause fliegen wollten. Angeblich sollen Jibril al-Kassar bewogen haben, mit einer Drogenlieferung die Bombe in die besagte Maschine zu schmuggeln. Fakt ist, daß die zwei US-Agenten, die das Befreiungskommando in Beirut führten, in der Maschine waren und über Lockerbie starben. Und Fakt ist, das die US-Regierung sich trotz vieler Widersprüche hartnäckig an die libysche Spur klammert, nach der die Bombe von libyschen Agenten in Malta aufgegeben worden ist. Und Fakt ist weiter, daß George Bush Syrien im Golfkrieg dringend als Partner gegen Saddam Hussein brauchte. Als das New Yorker Detektivbüro die Spur Monzer al-Kassar präsentierte, gab es in Washington dazu nur einen Kommentar: „garbage“ (Kehricht).

Richter Garzon reiste am Donnerstag nach Marbella, um die Villa des Waffenhändlers zu durchsuchen. Al-Kassar, der mit einem argentinischen Paß in Spanien eingereist ist — seit Beginn dieses Jahres besitzt er die argentinische Staatsangehörigkeit — war schon 1987 einmal aufgrund internationalen Drucks ausgewiesen worden. Das hinderte ihn nicht daran, sich später mehrfach in Marbella aufzuhalten. Die jetzige Festnahme des Waffenhändlers basiert angeblich auf mehrmonatigen Ermittlungen des Richters am Nationalen Gerichtshof, Baltasar Garzon, der die Netze des internationalen Drogenhandels in Spanien verfolgt. Bis zu 72 Stunden kann ein Festgenommener maximal im Polizeigewahrsam verbleiben, danach muß er einem Richter vorgeführt werden. Garzon hat al-Kassars Verbleib im Polizeigewahrsam für weitere zwei Tage angeordnet. Seine Vernehmung wird für Montag früh erwartet.